Tod Auf Der Warteliste
hinter einem Busch. Es war viel zu früh, um nachbarschaftliche Freundlichkeiten auszutauschen. Ramses sah, daß Laurenti ein Stück Papier unter dem Scheibenwischer hervorzog, es las und dann in den Wagen stieg. Als er die Rücklichter des Alfa Romeo nicht mehr sehen konnte, ging Ramses zum Parkplatz und startete seinen Wagen. Um sechs Uhr stellte er ihn an den Rive ab und ging neben dem Nastro Azzuro in eine Bar, in der am Morgen die Fischer verkehrten. Rauchschwaden hingen überm Tresen, und die wortkargen Gespräche wurden im breitesten Dialekt geführt. Ramses schenkten sie kaum Beachtung und drehten ihm die Rücken zu. In seinem grauen Anzug und mit der Aktentasche unter dem Arm paßte er nicht herein. Er trank eine Coca-Cola und warf einen Blick in die Zeitung, die auf einem der Tische lag. Um halb sieben setzte er sich wieder in den Wagen und fuhr bis ans Ende des Molo dei Bersaglieri hinter der Stazione Marittima hinaus, wo außer drei Anglern kein Mensch zu sehen und der anschwellende Geräuschpegel der erwachenden Stadt kaum zu hören war. Um halb sieben konnte er einen Kollegen wecken, auch wenn er nicht mit ihm befreundet war. Der Mann zählte zu den bekannten Reportern des Landes, war als einer der ersten Journalisten in Kabul gewesen, hatte eine Fahrradtour von Triest nach Istanbul hinter sich gebracht und erst kürzlich ein Interview mit dem türkischen Drahtzieher eines europäischen Schleuserrings veröffentlicht.
Seine Stimme klang verschlafen, doch sagte er ohne zu zögern zu, Ramses in einer Viertelstunde zu treffen und das Material in Empfang zu nehmen, über das sie sich in den letzten Tagen verständigt hatten. Seine Redaktion wartete bereits darauf.
*
Mit Galvano waren wieder einmal die Gäule durchgegangen. Am vergangenen Abend, als er wie üblich sein Essen im »Nastro Azzurro« zu sich nahm, war er zufällig auf den Questore und dessen Gattin gestoßen und hatte begeistert von Laurentis Fall und der Klinik auf dem Karst erzählt. Einerseits hatte er die Absicht, dem Questore den Appetit zu verderben, indem er wieder einmal ausschweifend über die Geschichte der Transplantationsmedizin dozierte, andererseits schwärzte er Laurenti an und behauptete, der sei einfach nicht in der Lage, alleine die Zusammenhänge zu begreifen. Man täte gut daran, ihn, den alten Fuchs, wieder einzustellen. Der Questore ließ ihn reden und machte, um ihn loszuwerden, ein paar Notizen, die er in kleine Stücke zerriß und in den Aschenbecher warf, nachdem der alte Gerichtsmediziner sich endlich verabschiedet hatte.
Galvano wachte mitten in der Nacht auf, als der Pegel des Weins sich Richtung Nüchternheit regulierte, und fing an die eigene Geschwätzigkeit zu bereuen. Vor allem tat ihm seine Hetztirade gegen Laurenti leid. Um sechs Uhr war er auf der Straße und kaufte am Kiosk seine Zeitungen. Dann ging er die Rive entlang und auf den Molo hinter der Stazione Marittima hinaus. Hinter dem ehemaligen Depot der »White Star Lines«, in dem heute ein Posten der Hafenpolizei untergebracht war, sah er den Wagen von Lorenzo Ramses Frei stehen. Was hatte ein Schriftsteller um diese Zeit hier zu suchen? Galvano konnte seine Neugier nicht unterdrücken und stieg die rostrote Landebrücke hinauf, die einst auf Schienen an das Hauptdeck der Überseedampfer gefahren wurde. Es war ein idealer Beobachtungsposten, und Galvano mußte nicht allzu lange warten, bis er einen Mann auf einem Rennrad heranfahren sah, der in Ramses’ Wagen stieg und nach einer Viertelstunde mit einer Aktentasche wieder davonfuhr. Galvano stieg die Eisentreppe hinunter und schlenderte an Ramses’ Auto vorbei, als wäre er zufällig hier. Ramses erschrak, als der Doktor an die Seitenscheibe klopfte.
»So früh schon auf den Beinen«, fragte der Alte. »Ich dachte immer, ihr Intellektuellen verschlaft den halben Tag.«
»Da sehen Sie, wohin Vorurteile führen. Ich wollte die frühe Stunde für ein paar Beobachtungen nutzen, die ich für mein Buch brauche. Dieser Platz hier ist unglaublich schön, man übersieht die ganze Stadt, und außer ein paar Anglern kommt sonst nie jemand hierher.«
»War das nicht unser rasender Reporter, der bei dir im Auto saß?«
»Wer?«
»Der für die ›Repubblica‹ schreibt.«
»Jaja.«
»Kennst du ihn?«
»Ich bewundere seine Arbeit. Wir trafen uns zufällig.«
»Komisch, wie der rumfährt. Hat diese eierquetschenden Fahrradhosen an und ein schrilles Trikot, die Aktentasche immer dabei, und sein
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