Tod Auf Der Warteliste
und jung und dumm und still. Nie zuvor gesehen.«
»Wie jung?« Romani ließ nicht locker.
»Einen Führerschein hatte sie wohl, denn sie fuhr Leos Auto. Ein Junge war auch da«, sagte Adalgisa.
»Ja, und noch ein Mädchen.« Severino trommelte mit den Nägeln auf der Lehne seines Sessels und erntete einen mißbilligenden Blick seiner Frau. »Ich erinnere mich, daß die ständig zusammensaßen, kicherten und tuschelten, wenn Leo sich mit jemand anderem unterhielt.«
»Auf reifere Jahrgänge scheint er wohl nicht zu stehen. Was ist mit seinen vielen Kurzreisen?« Romani ging zwei Schritte auf Adalgisa Morena zu. »Weißt du wenigstens, wo er war?«
»Kongresse, sagte er immer. Und einmal flog er zum Operieren nach Istanbul. Das hat er irgendwann rausgelassen.«
»Wie bitte?«
»Er hat viele Kontakte zu ausländischen Kollegen«, sagte Severino. »Wir alle haben die natürlich. Da greift man sich manchmal unter die Arme, wenn Not am Mann ist. Aber frag mich nichts Genaueres.«
»Ich werde ihn mir vorknöpfen, wenn er wieder zu sich gekommen ist. Die ganze Sache riecht verdammt nach Rache. Schwulenmilieu oder Pädophilie. Es wäre zu dumm, wenn durch sein Verhalten alles hier gefährdet würde.« Romani machte eine kleine Pause. »Ihr müßt auf jeden Fall damit rechnen, daß die Polizei wiederkommt. Am besten redet nur Adalgisa mit ihnen.«
»Wir verschieben alle Operationstermine, bis Leo wieder auf den Beinen ist«, sagte Severino.
»Dummkopf! Das ist keine Grippe, die er auskurieren muß. Es steht nicht gut um ihn. Mir wäre es lieber, wir hätten ihn hier. Dann wären wir sicher, daß er gut versorgt würde.« Adalgisa griff zum Telefon. »Ich frage nach, ob es etwas Neues gibt.«
»Warte«, sagte Romani. »Sie melden sich von alleine, sobald sein Zustand sich ändert. Die tun, was sie können. Dafür habe ich gesorgt. Er ist immerhin ein Kollege. Wie soll jetzt der Betrieb weitergehen? Ihr wißt, daß der Mitarbeiter von Petrovac operiert werden muß.«
»Schick ihn nach Istanbul.« Severino ließ die Fingerknöchel knacken. »Wir können Petrovac nicht jeden Gefallen tun.«
»Sei nicht so hochnäsig, Ottaviano. Ich bin nicht im geringsten davon überzeugt, daß du dir das leisten kannst. Ohne Petrovac würdest du immer noch schlechtgelaunt in einem öffentlichen Krankenhaus rumhängen. Ein bißchen Dankbarkeit steht einem immer gut.«
»Es gibt einen Unterschied zwischen Geld und Arbeit. Denk immer dran, daß die Klinik nur funktioniert, weil hier hochqualifizierte Spezialisten arbeiten. Und daran verdient dann auch er.«
»Du redest wie ein Kommunist. Ich habe euch nicht um einen Gefallen gebeten. Leute wie dich kann man immer kaufen. Petrovac will, daß sein Mann hier behandelt wird, und damit basta.« Romani ließ Severino nicht aus den Augen.
»Hört auf zu streiten wie zwei keifende Weiber. Mit Befehlen erreichst du nichts, Romani! Es ist etwas Ernstes vorgefallen. Darüber müssen wir reden«, sagte Adalgisa Morena. – »Ottaviano hat recht. Es handelt sich nicht um Kleinigkeiten.«
»Was die Arbeit betrifft, kann ihn doch Urs Benteli ersetzen.«
»Das brauchst du mir nicht zu sagen.« Frost lag in der Luft.
»Es braucht ein paar klare Maßnahmen.« Romani nahm die Brille ab und massierte sich mit zwei Fingern das Nasenbein. Aber seine Stimme klang knochenhart. »Ihr tauscht sofort das betroffene Personal aus dem Transplantationstrakt aus. Zahl die Leute aus und schick sie nach Hause. Morgen darf keiner mehr dasein.«
Als niemand antwortete, bequemte Romani sich, diese Anweisung zu erklären. »Für alle Fälle. Es kann sein, daß die Polizei auf die Idee kommt, das Personal zu befragen. Jeden, der mit Leo zu tun hatte.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Severino. »Sie sprechen zuerst mit Leo selbst. Weshalb sollten sie sich diese Mühe machen?«
»Wenn er durchkommt, Ottaviano, dann hast du recht. Was ist, wenn nicht? Ihr braucht sofort neue Leute.«
»Solange die nicht da sind, operieren wir nicht.« Adalgisa lächelte. Ein Sonnenstrahl fiel ihr ins Gesicht und ließ ihr Haar noch schwärzer wirken. »Sag Petrovac also, sein Freund muß warten oder wirklich nach Istanbul.«
»Dieses Problem ist schnell gelöst. Drei Personen in Belgrad warten nur auf einen Anruf, ein paar Stunden später sind sie hier. Andere in Zagreb, Kiew und Budapest«, sagte Romani. »Du brauchst nur zum Telefon zu greifen.«
»Wir brauchen kein Personal, wenn wir nicht arbeiten.« Es war Severinos letzter,
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