Tod Auf Der Warteliste
angesehene Chirurg, Professor L.L., der am Dienstag morgen vor seinem Haus gefunden wurde – ohnmächtig und entmannt –, hat es nicht geschafft. Er starb in der Nacht zum Mittwoch kurz nach Redaktionsschluß. Die Ärzte kämpften vergeblich um sein Leben. Der Gärtner, der ihn gefunden und die Polizei gerufen hat, steht unter Schock. Erst einen Tag später konnte er sich äußern. »Alles schwamm im Blut«, sagte er zu unserem Reporter und brach in Tränen aus. Von der abgetrennten Männlichkeit fehlt jedoch jede Spur. Ein Rätsel für die Polizei. Auch ein Motiv ist bis heute sowenig bekannt wie der Täter. Und der junge Labrador im Garten vermißt sein Herrchen.
Lorenzo Ramses Frei war noch vor dem ersten Kaffee nach Santa Croce hinaufgegangen, um Zeitungen und Zigaretten zu kaufen. Eine leichte Bora sorgte immer noch für gleißenden Sonnenschein, doch schenkte er der Anmut des offenen Meeres keinen Blick, als er die Treppen wieder hinabstieg. Er hielt die Zeitung lange in Händen und las wie gebannt Artikel über den seltsamen Anschlag auf den Arzt. Die gestrige Ausgabe hatte er wegen seiner Reise verpaßt, doch anscheinend nichts versäumt. Erst am zweiten Tag nach der blutigen Attacke in der Via Bonomeo war die richtige Ausbeute für die Journalisten zusammengekommen. Sie begnügten sich nicht nur mit einem Artikel, sondern hatten den Fall seitenweise ausgebreitet. Sogar ein Priester kam zu Wort, der labyrinthisch um das verlorene Teil herumredete. Aber auch Prominente aus Politik und Medien nahmen Stellung. Man war sich einig, daß es außerordentlich unzivilisiert sei, anderen Menschen so etwas anzutun.
Wo ist das Glied des Toten? Die Mafia war es nicht! Die steckt bei ihren Ritualmorden das abgetrennte Gemächte in den Mund des Verräters – als abschreckendes Beispiel für alle anderen. Ob der Täter es einfach mitgenommen hat? Oder war es der junge Labrador des Arztes, der inzwischen von einer Verwandten aus dem Tierheim abgeholt wurde? Ramses schüttelte über der Lektüre den Kopf und faltete kurz nach der Eisenbahnbrücke die Zeitung zusammen. Er war nicht weit von zu Hause entfernt und wollte sich Gewißheit verschaffen, ob seine Überwacher inzwischen bemerkt hatten, daß er sie abgehängt hatte. Er stieg die Treppe zur Küstenstraße hinunter bis zu einem Punkt, wo sie von unten zu sehen war. Er hielt sich nah an den Zäunen, über die aus den angrenzenden Gärten der Efeu wucherte. Er sah, daß auf dem Parkplatz nur sein Leihwagen stand sowie das weiße Mercedes Cabriolet, mit dem er am frühen Morgen nach Hause gebracht worden war, und Lauras Auto. Sie waren ihm also noch nicht auf die Schliche gekommen. Oder warteten sie gar nicht mehr auf ihn?
Ramses ging ins Haus zurück und schloß leise die Küchentür. Er konnte sich nicht erklären, wie es passiert war, doch in seinem Bett schlief eine falsche Blondine. Sie hatte ihn nach Hause gefahren, obwohl sie ihn kurz zuvor noch ausgelacht und gesagt hatte, sie würde auf keinen Fall einen Umweg machen. Und dann kam sie doch noch auf ein Glas mit hoch. Es war leichtsinnig, aber er wollte nicht alleine sein. Es war nicht schwierig gewesen, sie zu überreden, denn sie hatten lange in einer Bar gestanden, geplaudert und viel getrunken. Und schließlich hatte er von einem Gästebett gesprochen und daß es wirklich keine Umstände machte. Angetrunken, wie er war, hatte er nicht einmal mehr daran gedacht, daß seine Verfolger auf dem Parkplatz warten konnten. Die blonde Silvia, die Triest zu ihrem persönlichen Freihafen gemacht hatte, war die erste Frau seit Matilde, mit der er geschlafen hatte. Er war selbst überrascht und ein wenig unsicher. Ramses machte Kaffee und setzte sich mit den Zeitungen auf die Terrasse hinaus.
Am vergangenen Abend hatte der Schweizer sich von Laura und Proteo hinter dem Haus absetzen lassen. Er zöge den Fußweg durch die Weinberge vor, auch in der Dunkelheit, hatte er als Entschuldigung für den kleinen Umweg, den sie fahren mußten, gesagt. Nach dem jähen Aufbruch aus der Osmizza hatte er im Wagen bis auf diese Bitte geschwiegen. Und auch Lauras Angebot, er möge sich melden, falls er Hilfe brauche, war unbeantwortet geblieben. Zu Hause angekommen, hatte er kein Licht angemacht und war zuerst um das Haus geschlichen, doch konnte er keine Anzeichen für weitere unerfreuliche Attacken entdecken. Er war nervös, sein Puls raste und er schwitzte, obwohl die Nacht frisch war. Die scherzhaften und anzüglichen
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