Tod auf Ormond Hall
Treppe benutzt und war nicht einmal außer Atem. "Fantastisch sehen Sie aus, Michelle", meinte er bewundernd, als sie einander die Hand reichten. Er musterte sie mit einem beinahe unverschämten Blick, dann reichte er ihr einen Strauß hellroter Rosen.
"Danke." Michelle wurde sich nicht bewusst, wie verräterisch ihre dunklen Augen glänzten. "Bitte!" Sie wies in ihre kleine Wohnung. "Ich bin gleich soweit", versprach sie. "Ich möchte nur erst die Rosen ins Wasser stellen. Es wäre schade, wenn sie ve rdorren."
Kevin Ormond sah sich in Ruhe um. "Wohnen Sie hier völlig alleine?“, erkundigte er sich, als sie mit den Rosen ins Wohnzi mmer trat. Er stand vor der offenen Balkontür. Von hier aus ging der Blick über die Dächer der Stadt bis zur Akropolis.
"Ja", erwiderte sie. "Ich habe die Wohnung vor einem Jahr g ekauft. Sie gefiel mir auf Anhieb. Es war nicht leicht, mich gegen die anderen drei Bewerber durchzusetzen."
"War das nach dem Tod Ihrer Eltern?"
Michelle zuckte zusammen. "Was wissen Sie davon, Kevin?" Sie konnte sich nicht erinnern, mit ihm über ihre Eltern gesprochen zu haben.
"Tut mir leid. Ich wollte keine Wunden aufreißen." Der junge Mann berührte sanft ihre Schulter. "Einer der anderen Partygäste, ein Mister Cook, erwähnte Ihre Eltern. Er sprach davon, dass sie bei einem Schiffsunglück vor der griechischen Küste ums Leben geko mmen sind."
"Schon gut." Michelle atmete tief durch. "Es passierte vor achtzehn Monaten", erzählte sie. "Meine Eltern machten einen Segelausflug zu den einzelnen Inseln. Auf der Rückfahrt stieß ihr Boot mit einer Fährte zusammen. Es gab keine Rettung mehr für sie. Ihre Leichen wurden drei Tage später an Land gespült."
"Es muss furchtbar gewesen sein." Kevin legte den Arm um sie.
Unbewusst schmiegte sich Michelle an den jungen Mann. "An und für sich hätte ich meine Eltern auf den Segelausflug begleiten sollen, aber ich war in der Botschaft unabkömmlich. Das hat mir das Leben gerettet." Sie straffte die Schultern. "Wir können g ehen", meinte sie.
"Auf was warten wir dann noch?“, scherzte er. "Die weite Welt erwartet uns."
"Wohin möchten Sie mich überhaupt entführen?“, fragte Michelle, während sie die Treppen hinunterstiegen.
"Wenn ich schon einmal in Griechenland bin, dann möchte ich unbedingt Delphi sehen", sagte Kevin Ormond. Er zwinkerte ihr zu. "Wer weiß, vielleicht wird das Orakel zu mir sprechen. Waren Sie schon in Delphi? Ganz gewiss sogar. Schließlich sind Sie in hier aufgewachsen."
"Nicht nur in Griechenland", stellte die junge Frau richtig. "Als Diplomaten waren meine Eltern selten länger als drei, vier Jahre an einem Ort. Ich habe in Frankreich gelebt, in Deutschland, in Italien ..." Sie hob die Schultern. "In Griechenland bin ich allerdings schon seit neun Jahren."
"Kennen Sie Ihre Heimat überhaupt?"
"Wir sind sehr oft in England gewesen, wenn auch meist nur für zwei, drei Wochen." Michelle dachte daran, dass Nancy und sie für das nächste Jahr einen langen Trip durch England planten. Sie wollten sich dafür zwei Monate Urlaub nehmen.
Auf dem Parkplatz vor dem Haus stand ein rotes Cabriolet. Kevin hatte es gleich nach seiner Ankunft in Athen gemietet. Er hielt für seine Begleiterin den Wagenschlag auf und half ihr beim Anschnallen. "Ich würde vorschlagen, dass wir uns erst einmal ein nettes Restaurant suchen, in dem man gut isst", sagte er und setzte sich neben sie.
"Wir sollten damit noch etwas warten", meinte Michelle. "Nach Delphi ist es ziemlich weit. Wir sollten uns unterwegs eine Kleinigkeit kaufen und erst heute Abend essen gehen."
"Gut, einverstanden." Kevin wies auf die Straße hinaus. "Und nun walten Sie bitte Ihres Amtes und lotsen mich aus der Stadt. Ich bin zwar schon drei Tage in Athen, aber die Straßen ersche inen mir immer noch wie ein unübersichtliches Wirrwarr."
"Machen Sie sich nichts daraus", erwiderte Michelle lachend. "Selbst mein Vater hat Monate gebraucht, bis er sich hier ausg ekannt hat." Sie setzte ihre Sonnenbrille auf und wies Kevin an, nach rechts abzubiegen.
2.
Es dunkelte bereits, als Michelle und Kevin nach Athen zurückkehrten. Hinter ihnen lagen herrliche Stunden in den Bergen. Der junge Mann hatte zum Vergnügen seiner Begleiterin ausprobiert, ob ihm das Orakel von Delphi etwas zu sagen hatte, aber es hatte geschwiegen. Von der Ruinenstätte waren sie zur Kastalischen Quelle gewandert und dann weiter zum Tempel der Athena. Michelle hatte Kevin viel von der Geschichte Delphis
Weitere Kostenlose Bücher