Tod den alten Göttern
23
Fassungslose Stille breitete sich über den Versammlungssaal.
Selbst die Verschwörer, die man gerade abführen wollte, horchten verblüfft auf. Alle erstarrten auf der Stelle, als hätte
sie jemand in Skulpturen verwandelt. Der erste, der sich aus der Reglosigkeit befreite, war Abt Colmán.
|401| »Du wirst uns das erklären müssen, Fidelma«, forderte er sie auf. Er hatte streng klingen wollen, aber die Stimme zitterte.
Fidelma blickte zu Iceadh, dem Arzt. »Ich möchte meinen ersten Zeugen für meine Behauptung zu Wort kommen lassen. Steh auf,
Iceadh.«
Der alte Mann erhob sich und schaute verunsichert in die Runde.
»Als ich dich neulich bat, mir die Wunden zu beschreiben, die Sechnussach beigebracht worden waren, was genau hast du da gesagt?«
Er schniefte verärgert. »Ich habe nichts anderes gesagt, als was ich auch schon anderen erzählt hatte. Sechnussachs Kehle
war aufgeschlitzt. Die Jugularvene durchtrennt. Kurzer Stich ins Herz. Beide Wunden tödlich. Beim Täter fand sich ein scharfes
Instrument. Ein Jagddolch. Scharf geschliffen. Hätte alles schneiden können. Sechnussach muss sofort gestorben sein.«
»Genau so hast du es mir berichtet«, bestätigte ihm Fidelma. »Die eine Sache, die wir nicht beachtet haben, war der kurze
Stich ins Herz, der, wie du sagst, ebenso gut wie das Durchtrennen der Kehle hätte zum Tod führen können.«
Iceadh schüttelte heftig den Kopf. »Hab das sehr wohl beachtet«, widersprach er, »hab alles berichtet, was ich gesehen habe.«
»Und dafür bin ich dir dankbar«, beschwichtigte ihn Fidelma. »Aber alle anderen haben es nicht weiter beachtet.« Damit wandte
sie sich wieder der Ratsversammlung zu. »Die Sache ist nämlich die, dass man Sechnussach bereits mit einem Stich ins Herz
getötet hatte, ehe Dubh Duin in das Gemach schlich und ihm die Kehle durchschnitt.«
In der Menge kam es zu einem Raunen. Brehon Sedna lehnte sich zurück und hatte deutlich seine Zweifel. Fast gönnerhaft |402| meinte er: »Das ist eine Behauptung, die zu beweisen dir schwerfallen dürfte.«
Fidelma errötete leicht, aber ihr Gesichtsausdruck war eine einzige Kampfansage. »Ich habe noch nie eine Behauptung aufgestellt,
die ich nicht hätte untermauern können, Brehon Sedna. Und auch für diese erbringe ich jetzt den Beweis«, entgegnete sie scharf.
Ihre Aufmerksamkeit galt erneut dem Arzt. »Ich verstehe wenig von deinem Beruf, Iceadh, aber ich habe oft genug meinem alten
Mentor, Bruder Conchobhar, bei seiner Arbeit zugesehen.«
»Bruder Conchobhar, den kenne ich«, bemerkte Iceadh. »Ich habe seine Schrift über die Behandlung von
galar poil
, von Epilepsie, gelesen; Paulus von Tarsus soll von ihr befallen gewesen sein nach seiner Bekehrung vor Damskus.«
»Hättest du etwas dagegen, wenn Bruder Eadulf dir einige Fragen stellt? Die meisten im Saal werden wissen, dass Bruder Eadulf
eine Weile an der Hohen Medizinschule von Tuam Brecain studiert hat.«
»Ich werde jede Frage beantworten, die einer Antwort würdig ist«, erwiderte der Arzt.
Eadulf erhob sich und sah ihn freundlich an. »Es sind nur wenige Fragen, die ich habe, Iceadh, doch ich hoffe, du hältst sie
alle für beantwortenswert. Ich möchte zuerst auf einen Tatbestand verweisen, damit es für die Anwesenden leichter ist, unserem
Gedankengang zu folgen. Als wir hier zwei Wochen nach der Ermordung des Hochkönigs eintrafen, konnten wir seinen Leichnam
nicht mehr in Augenschein nehmen, weil er bereits – wie es der Brauch verlangt – bestattet worden war. Deshalb müssen wir
uns auf deine Augen und deine Beobachtungsgabe verlassen.«
»Auf meine Beobachtungsgabe kann man sich verlassen; das, was ich bei der ersten Untersuchung der Leiche gesehen |403| habe, habe ich noch heute genau vor Augen«, erklärte Iceadh, von sich überzeugt. »Es geschieht nicht oft, dass man gerufen
wird, um den Leichnam eines ermordeten Hochkönigs zu untersuchen. Ich sehe die Leiche vor mir, als wäre es gestern gewesen.«
»Und das ist gut so, denn du hast schon jetzt entscheidend zur Beweisführung beigetragen. Wie Fidelma andeutete, hast du auf
die Wunde am Herzen verwiesen, von der du meinst, dass sie ebenso wie das Durchtrennen der Kehle hätte zum Tod führen können.«
Iceadh zog die Stirn kraus, nickte jedoch zustimmend. »Das ist richtig, aber was zuerst erfolgte, ob der Stich ins Herz oder
das Durchtrennen der Jugularvene, kann ich nicht sagen.«
»Ich denke, wenn wir der Sache
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