Tod den alten Göttern
Zweierlei war es damals, womit sie sich die Anerkennung des Abts erobert hatte: Zum einen hatte sie den rätselhaften Diebstahl
des Amtsschwerts des Hochkönigs geklärt und zum anderen herausgefunden, was es mit einem umgeisterten Grab auf dem Friedhof
der Hochkönige auf sich hatte.
»Gut siehst du aus, Colmán; kein bisschen älter geworden«, begrüßte sie ihn munter.
» Vanitas vanitatum, et omnia vanitas
«, zitierte er mit ernstem Gesicht. »Schön wär’s, wenn dem so wäre, aber leider sagt mir mein Spiegelbild etwas anderes.«
Dann galt seine Aufmerksamkeit Eadulf. »Auch dich heiße ich willkommen, Eadulf von Seaxmund’s Ham. Wir haben schon viel von
dir gehört, Bruder Angelsachse. Geschichten über deine Taten mit unserer lieben Schwester Fidelma machen ihre Runde; Geschichtenerzähler
versäumen nicht, sie gerade jetzt während der dunklen Wintermonate am Herdfeuer zu erzählen.« Und als Fidelma Caol und Gormán
vorstellte, begrüßte er auch sie freundlich.
»Seid unserer Gastfreundschaft gewiss«, sagte er mit einer Geste, die sie alle einschloss, und fügte hinzu: »Gastfreund schaft , soweit sie uns in diesen schweren Tagen möglich ist.«
»Worauf müssen wir uns einstellen?«, fragte Fidelma, während Colmán den bereitstehenden Stallburschen, den
gilla
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scuir
, bedeutete, sich um die Pferde zu kümmern und ihnen die Satteltaschen abzunehmen.
Seine Miene verdunkelte sich.
»Cenn Faelad erzählt es dir besser selbst. Er wünscht dich zu sehen. Aber zunächst sind die Gepflogenheiten der Gastfreundschaft
zu bedenken. Im Gästehaus sind die Zimmer bereitet, und für ein warmes Bad ist auch alles gerichtet. Kommt, ich zeige euch,
wo ihr euch frisch machen könnt.«
Sie folgten seiner Aufforderung, Fidelma an seiner Seite, Eadulf und die anderen dahinter. Caol und Gormán hatten sich noch
rasch die Satteltaschen gegriffen.
»Wie viele, abgesehen vom Großen Rat, haben davon gewusst, dass ihr nach mir geschickt habt?«, fragte Fidelma.
Die Frage überraschte Abt Colmán.
»Es gab keine Veranlassung, das geheim zu halten. Alle Mitglieder des Rates, die nach dem Tod von Sechnussach zusammenkamen,
um die Sachlage zu überdenken, wussten davon. Im Grunde genommen war es in aller Munde. Wieso fragst du?«
»Es kam mir nur so ein. Die Bestattungsfeierlichkeiten haben wohl schon stattgefunden, oder?«
»Sechnussach hat wie seine Vorgänger und Vorfahren auch seine letzte Ruhestätte in der Königsgruft gefunden«, erklärte der
Abt etwas salbungsvoll. »Wir konnten nicht warten, bis alle
cóicedach
, alle Könige der fünf Königreiche mit ihren Adligen hier angereist waren, um den Zeremonien beizuwohnen. Cenn Faelad beabsichtigt
jedoch, die Könige und Edelleute zu einer Gedenkfeier einzuladen, sowie die Untersuchung zum Tode seines Bruders ihren Abschluss
gefunden hat.« Er setzte ein flüchtiges Lächeln auf und fügte betont hinzu, als ob es noch einer Erklärung bedurft hätte:
»Deine Untersuchung, Fidelma, deine Urteilsfindung.«
|76| »Sechnussach war ein großer König und ein großherziger Mensch«, sagte Fidelma nachdenklich. »Ich kann nur hoffen, dass Cenn
Faelad seinem Bruder in nichts nachsteht.«
»Eine weise Feststellung, der ich aus vollem Herzen zustimme, Fidelma«, pflichtete ihr der Abt bei. »Ich kenne ihn seit vielen
Jahren und glaube, die fünf Königreiche werden kaum eine Veränderung bemerken, denn in den meisten Dingen waren er und sein
Bruder der gleichen Auffassung.«
»Wann wird Cenn Faelads feierliche Krönung zum Hochkönig stattfinden? Ein solcher Anlass verlangt doch wohl die Anwesenheit
der
cóicedach.
«
Das bekümmerte Antlitz des Abts wurde um eine Spur ernster. »Der Große Rat ist zu dem Schluss gekommen, dass noch einige Zeit
vergehen muss, ehe Cenn Faelad das Schwert der Hochkönige ergreifen und den Fuß auf den
Lia Fail
setzen darf, um seine Thronbesteigung zu verkünden.«
»Den
Lia Fail
?«, wunderte sich Eadulf, der an die Worte der alten Frau am Fluss erinnert wurde.
»Das hat etwas mit unseren Zeremonien bei der Krönung zu tun, Bruder Angelsachse«, erklärte der Abt nachsichtig. »Du kennst
sie wahrscheinlich nicht im Einzelnen. Aber derjenige, der zum König gekrönt werden soll, muss das aus alten Zeiten überlieferte
Schwert der Hochkönige in die Hand nehmen und seinen Fuß auf einen alten Stein setzen, den wir den Schicksalsstein, eben
Lia Fail
, nennen. Aus heidnischen Zeiten stammt
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