Tod den alten Göttern
Sechnussach.
Sechnussach wurde ermordet, und was immer ihm Luachan überreichte, ist verschwunden. Als Nächsten brachte man Bruder Diomasach
um, der den Fund mitentdeckt hatte. Und nun ist auch Bischof Luachan spurlos verschwunden.«
»Und was ergibt sich daraus?«
»Ehe wir irgendwelche Schlussfolgerungen ziehen, brauchen wir weitere Erkenntnisse.«
»Nur ohne Bischof Luachan gewinnen wir sie nicht.«
Bruder Céin rief erneut nach ihnen.
|270| »Wir können nur hoffen, dass er noch lebt und wir ihn finden.« Fidelma drehte sich um und kroch in den Stollen zurück.
Eadulf stand noch einen Moment da, und als er sich ein letztes Mal umsah, blieb sein Blick an den grotesken, aus dem Stein
gemeißelten Bildern haften. Lauter verzerrte Fratzen starrten ihn vorwurfsvoll an und erinnerten ihn an die Zeit, da er noch
nicht zum christlichen Glauben übergetreten war.
Ihn fröstelte, und rasch kroch er Fidelma hinterher.
Es war eine Wohltat, wieder im Tageslicht zu stehen, wo sie Bruder Céin unruhig erwartete.
»Nun? Sagt euch der Ort etwas? Hat euch das, was ihr dort unten gesehen habt, einen Schritt weitergebracht?«
»Es untermauert die Geschichte, die du uns über Bischof Luachan und seine Entdeckung erzählt hast, viel mehr hat sich nicht
ergeben.«
»Ich hatte gehofft, ihr würdet noch andere Rückschlüsse ziehen können«, sagte er enttäuscht.
»Wo liegt dieser Bauernhof, zu dem der Bischof angeblich gerufen worden war?«
»Ein Stückchen weiter nördlich. Man nennt ihn ›Die Wiesen von Nionn‹,
Cluain Nionn
. Ihr kommt daran vorbei, falls ihr euren Ritt nach Norden fortzusetzen gedenkt.«
»Weshalb sollten wir das nicht tun? Natürlich reiten wir weiter.«
Bruder Céin schaute zum Himmel und auf die länger werdenden Schatten.
»Heute Abend jedenfalls nicht mehr. Erfreut euch unserer Gastfreundschaft und reitet erst morgen früh weiter.«
»Angenommen, und mit Freuden«, erwiderte Fidelma.
Bruder Céin übernahm die Führung, und zusammen machten sie sich auf den Rückweg zu der Ansiedlung der Mönche.
|271| Vor dem Abendessen, dem
prainn
, das die Hauptmahlzeit darstellte, ließ sich Fidelma von dem Verwalter die Bibliothek der Gemeinde, die
tech screpta
, zeigen. Sie bestand aus etwa vierzig Bänden, die reihenweise säuberlich in eigens für Bücher vorgesehenen Ledertaschen hingen.
Die Bibliothek war Bruder Céins ganzer Stolz.
»Bischof Luachan wollte unsere Gemeinde zu einem Hort des Wissens machen«, teilte er bekümmert mit. »Leider wird man die Bücher
als Erstes vernichten, wenn die
dibergach
über uns herfallen und wir sie nicht abwehren können. Wir besitzen eine Sammlung von Handschriften, die sich mit den Bibliotheken
in den fünf Königreichen durchaus messen kann.«
Fidelma, die auf ihren Reisen viele weitaus größere Bibliotheken gesehen hatte, widersprach ihm nicht. In ihren Augen verdiente
jeder Ort, an dem Bücher gesammelt wurden, Achtung und Anerkennung.
»Dieser Schatz ist fürwahr der Rettung wert, Bruder Céin«, versicherte sie. Unvermutet kam ihr eine Erinnerung in den Sinn.
»Man hat mir erzählt, dass es mit diesem Ort im Zusammenhang mit meinem Königreich eine besondere Bewandtnis hat. Weißt du
davon?«
Er nickte. »Aber das war in alten Zeiten. Es ist eine der mündlich überlieferten Legenden.«
»Erzähl.«
»Vor langer, langer Zeit, man kann sich gar nicht mehr an das tatsächliche Geschehen erinnern, soll es in deines Bruders Königreich
Muman im Norden einen Stammesfürsten namens Lugaid mac Táil gegeben haben. Der hatte fünf Söhne und eine Tochter. Die Tochter
heiratete einen ehrgeizigen Krieger, Trad mac Tassaig. Die Tochter war nicht minder ehrgeizig und außerdem eine große Druidin,
die sich in der Zauberkunst auskannte.
|272| Eines Tages behauptete sie, sie hätte eine Erscheinung gehabt und die hätte verkündet, wenn ihr Vater Lugaid sein Amt des
Stammesfürsten und das ganze Land nicht ihrem Mann überantworte, würde eine Schar von Dämonen das Reich und die gesamte Familie
vernichten. Aus Angst tat Lugaid wie geheißen und floh mit seinen fünf Söhnen Richtung Norden.
Sie kamen an den See Lugborta, wo Lugaid ein Zauberfeuer entfachte, das ihm den weiteren Weg weisen sollte. Das Feuer verbreitete
sich in fünf Richtungen, und die fünf Söhne zogen in die gewiesenen Richtungen und ließen sich dort nieder. Der Vater aber
blieb an dem Ort, wo er das Feuer entfacht hatte, und so nannte man den See
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