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Tod den Unsterblichen

Tod den Unsterblichen

Titel: Tod den Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl
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Wilson-Lehrsatz erläuterte. Er beobachtete mit größerem Interesse die tanzenden Mädchen und Trickfiguren, aber alles in allem war es eine enttäuschende Sendung. Die Kamera streifte nur zweimal das Studio-Auditorium, und in beiden Fällen konnte er keinen Blick von Locille erhaschen.
    Er berichtete es seiner Mutter, warf einen letzten Blick auf die Fahne, die Locille ihm mitgebracht hatte, und ging zur Arbeit.
    Im Lauf des Tages fühlte sich Roger immer schlechter. Erst hämmerte sein Kopf, dann taten ihm die Glieder weh, dann überkam ihn ein unwiderstehlicher Brechreiz. Rogers Job trug dazu bei, er verbrachte den ganzen Tag in einer hüfthohen, stinkenden Flüssigkeit, die sich aus Salzwasser, Fischlymphe und Fischblut zusammensetzte.
    Gewöhnlich störte es ihn. Heute aber war es anders. Er stützte sich mit einer Hand auf die Stahlplatte seines Tisches und schüttelte den Kopf heftig, um ihn klar zu bekommen. Er war gerade von seinem hastigen Ausflug zur Toilette zurückgekehrt, wo er sich reichlich übergeben hatte. Jetzt war er wieder nahe daran, nochmals hinzustürzen.
    Am Ende des Tischs rief der Sortierer: »He, Roger! Du hältst die Arbeit auf.«
    Roger rieb sich den Nacken und murmelte etwas Unverständliches, auch für ihn selbst. Er machte sich wieder an die Arbeit, weil er mußte; die Fische stapelten sich vor ihm.
    Es war die Aufgabe des Sortierers, die Weibchen der Atlantischen Lachszucht von den Männchen zu trennen. Die Männchen wurden auf einer Gleitbahn in einen raschen und ehrlosen Tod befördert. Aber die Weibchen enthielten während der Laichzeit etwas zu Kostbares, als daß es in dem Gemisch aus Eingeweiden und Gräten zu Fischmehl verarbeitet werden durfte. Das war Rogers Aufgabe – Rogers und einiger Dutzend anderer, die wie er an Tischen standen. Erst mußte er das zappelnde Weibchen mit einer Hand beim Schwanz packen und ihm mit der anderen Hand den Schädel möglichst völlig einschlagen. Dann nahm er es in beide Hände und hielt es, den Bauch nach oben, über den Tisch seinem Partner hin, der es mit einem langen, fettigen Messer aufschlitzte und den Eiersack freilegte. (Ziemlich oft verfehlte das Messer sein Ziel. Rogers Job war nicht begehrt.) Nach einer schnellen Drehbewegung rutschten die Eier hierhin, glitt die aufgeschlitzte Leiche dahin, und Roger ergriff den nächsten Fisch. Manchmal wehrte sich der Fisch verzweifelt, was für einen Mann mit Phantasie unangenehm war; sogar die stumpfsinnigsten ekelten sich allmählich vor dieser Arbeit. Roger verrichtete sie schon seit vier Jahren.
    »Na los, Roger!« Der Sortierer schrie ihn nochmals an. Benommen starrte Roger ihn an. Zum erstenmal wurde er sich des ständigen Geratters, Geklappers, Getöses bewußt, das in der Fischfabrik auf der alleruntersten Ebene herrschte. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, dann rannte er davon. Er erreichte die Toilette mit knapper Not.
     
    Eine Stunde später war seine Mutter erstaunt, ihn nach Hause kommen zu sehen. »Was ist passiert?«
    Er versuchte ihr zu erklären, was passiert war, aber dazu benötigte er einige komplizierte Wörter. Er beließ es bei: »Ich habe mich nicht gut gefühlt.«
    Sie war besorgt. Roger war immer gesund. Er sah zwar nie gut aus, aber das lag daran, daß der beschädigte Teil seines Hirns auch etwas mit seinem Muskeltonus zu tun hatte; ja, er war in seinem ganzen Leben alles in allem höchstens eine Woche krank gewesen. Sie sagte unschlüssig: »Dein Vater wird in etwa einer Stunde nach Hause kommen, aber vielleicht sollte ich ihn doch benachrichtigen. Was meinst du, Roger?«
    Das war eine rhetorische Frage; sie hatte sich längst mit der Tatsache abgefunden, daß ihr Sohn nicht denken konnte. Er taumelte und richtete sich mit finsterem Blick auf. Sein Nacken begann wieder heftig zu schmerzen. Er war nicht in der Stimmung, um über schwierige Fragen nachzudenken. Er wollte ins Bett, Locilles Fahne neben seinem Kissen, so daß er schläfrig daran zuppeln konnte, bis er einschlief. Das wollte er. Er sagte es seiner Mutter.
    Sie machte sich ernsthaft Sorgen. »Du bist krank. Ich sollte lieber die Klinik anrufen. Leg dich hin.«
    »Nein, nein, das brauchst du nicht. Sie haben schon angerufen.« Er schluckte, was ein bißchen weh tat; er begann zu frösteln. »Mr. Garney war mit mir beim Dia … Dia …«
    »Dem Diagnostikon in der Klinik, Roger!«
    »Ja, und ich habe ein paar Pillen bekommen.« Er kramte in seiner Tasche und hielt die kleine Schachtel in die Höhe.

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