Tod den Unsterblichen
»Ich habe schon eine genommen, und ich muß später noch ein paar nehmen.«
Seine Mutter war nicht zufriedengestellt, aber sie machte sich keine besonderen Sorgen mehr; das Diagnosegerät versagte nur selten. »Das kommt davon, weil du in diesem kalten Wasser stehst«, jammerte sie und half ihm in sein Zimmer. »Ich habe es dir ja gesagt, Roger. Du solltest dir einen besseren Job suchen. Aufschlitzer, vielleicht sogar Sortierer. Oder vielleicht kannst du aus dieser Abteilung ganz herauskommen. Du hast schon vier Jahre dort gearbeitet …«
»Gute Nacht!« sagte Roger völlig unpassend – es war noch früher Nachmittag. Er begann sich auszuziehen und fühlte sich in dem vertrauten bequemen Zimmer mit seinem vertrauten bequemen Bett und der alten japanischen Fahne neben seinem Kissen ein bißchen besser, zumindest seelisch. »Ich will jetzt schlafen«, sagte er zu seiner Mutter und wurde sie endlich los.
Er kuschelte sich unter die Heizdecken – die so hoch eingestellt waren, wie es der Rheostat zuließ, aber doch nicht heiß genug wurden, um seinen fröstelnden Körper zu erwärmen. Sein Kopfweh machte ihn jetzt fast blind.
In der Klinik hatte Mr. Garney ihm sorgfältig erklärt, wofür die Pillen waren. Sie würden die Schmerzen wegnehmen, das Hämmern beenden, ihm Wohlbehagen verschaffen, ihn einschläfern. Fieberhaft schüttelte Roger eine aus der Schachtel und schluckte sie.
Sie wirkte natürlich. Die Pillen der Klinik hielten immer das, was sie versprachen. Der Schmerz wurde erträglich, dann nur noch eine Erinnerung; das Hämmern hörte auf; er begann einzuschlafen.
Roger fühlte sich friedlich müde. Er konnte sein Gesicht nicht sehen und wußte deshalb nicht, wie rot es wurde; er hatte keine Ahnung, daß seine Temperatur schnell stieg. Er schlief recht glücklich ein … die alte verschlissene Fahne an der Wange … so wie er es seit fast drei Wochen immer getan hatte und in diesem Leben nie mehr tun sollte.
Der Grund, warum Roger seine Schwester nicht im Studio-Auditorium gesehen hatte, war, daß sie gar nicht dort war; sie wartete in Cornuts kleiner Garderobe. Cornut schlug es vor. »Du brauchst Ruhe«, sagte er besorgt und versprach, die Vorlesung später mit ihr durchzunehmen.
In Wirklichkeit hatte er ein ganz anderes Motiv. Sobald seine Sendung beendet war, schrieb er einen Zettel an Locille und ließ ihn von einem Studenten überbringen.
Ich muß etwas erledigen. Ich werde ein paar Stunden fortbleiben. Ich verspreche dir, daß mir nichts passiert. Mach dir keine Sorgen.
Bevor der Zettel sie erreichte, befand Cornut sich bei der Brücke, in dem Aufzug, auf dem Weg zur Stadt.
Er hatte tatsächlich etwas zu erledigen und wollte mit Locille nicht darüber sprechen. Die seltsamen Träume waren schlimmer geworden, und es gab da noch andere Dinge. Zum Beispiel hatte er jetzt fast immer einen Kater. Er hatte festgestellt, daß ein paar Drinks abends ihn besser schlafen ließen, und baute nun darauf.
Und es gab noch etwas, worüber er nicht mit Locille reden konnte, weil auch sie nicht davon redete.
Die Untergrundbahn setzte ihn an einer grellerleuchteten, lauten, muffigen Station weit in der Unterstadt ab. Er blieb bei eine Telefonzelle stehen, um die Adresse des Sexautors, Farley, zu überprüfen, und eilte zur Straße hinauf, um dem Gestank und Lärm möglichst schnell zu entrinnen. Das war ein Irrtum. Im Freien dröhnte der Lärm noch lauter, und die Luft war sogar noch schmutziger. Große Häuserblöcke erhoben sich über ihm; kleine Dreiräder und gewaltige Lastwagen donnerten auf zwei Ebenen um ihn herum. Es war nur eine Minute zu Fuß bis zu Farleys Büro, aber diese Minute wurde zur Qual.
Das Schild an der Tür hatte die gleiche Inschrift wie sein Aktendeckel:
S. R. Farley, Berater
Die Sekretärin des Sexautors schaute zweifelnd drein, meldete ihm aber schließlich, daß Mr. Farley Master Cornut auch ohne vorherige Verabredung empfangen könne. Cornut setzte sich an die andere Seite des Schreibtischs, lehnte eine Zigarette ab und sagte unumwunden: »Ich habe mir die Musterproben angesehen, die Sie bei uns gelassen haben, Farley. Sie sind interessant, obwohl ich nicht glaube, daß ich Ihrer Dienste in Zukunft bedarf. Ich glaube, ich habe den Sinn Ihrer Schrift verstanden und festgestellt, daß auf einem Blatt Konstanten stehen, die wohl die persönlichen Charakterzüge meiner Frau und meine eigenen umreißen sollen.«
»O ja. Da ist sehr wichtig«, sagte Farley. »Ihre sind
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