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Tod einer Queen

Tod einer Queen

Titel: Tod einer Queen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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Unfall gegeben«, sagte der Junge mürrisch. »Ich mußte die Operation verheimlichen, deswegen war meine Brust verbunden. Ich hab ganz vergessen, daß ich ihr von einem Verkehrsunfall erzählt hatte. Ich hab ihr erzählt, ich hätte mir eine Rippe gebrochen oder so ähnlich. Es war nicht mal ein richtiger Verband, sondern eine Art Korsett, das ich mir gekauft hatte. «
    »Du meinst… «
    »Was glauben Sie denn, was ich damit meine? Ich sitze hier doch nicht, weil es so gesund ist, oder? Warum verschwinden Sie nicht einfach und lassen mich in Ruhe! Ich muß Geld verdienen! «
    »Man kann sein Geld auch auf andere Weise verdienen. Warum steigst du nicht aus, solange es nicht zu spät ist? Du weißt doch selbst, wie gefährlich es ist, und für dich ist es noch nicht zu spät. «
    »Doch. Es ist schon zu spät. Ich hab mit einer Hormonbehandlung angefangen. Kein Schwein interessiert sich mehr für Transvestiten, deshalb mußte ich mir Brüste implantieren lassen. Wenn schon, dann richtig. Da verdiene ich mehr, und wenn ich keinen Bartwuchs mehr habe, kann ich mein Gesicht machen lassen. Dann werde ich so viel Geld verdienen, wie die da drüben.« Er sah die Straße hinunter, dorthin, wo die Autoschlange langsam fuhr. »Irgendwann könnte ich mir sogar ein eigenes Appartement leisten. Davon träume ich. «
    »Und du willst nicht, daß deine Mutter dir Geld wegnimmt, hab ich recht? «
    »Nein, das ist nicht wahr. Ich werde ihr Geld schicken, wenn ich erst einmal auf eigenen Beinen stehe, das können Sie ihr sagen, wenn Sie wollen. Es ist nicht das Geld, es ist … einfach alles. Dieses ganze Leben… Sie hat mich mit allen Geschwistern allein gelassen. Einmal wurde das jüngste krank. Mitten in der Nacht war das. Es war noch ein Baby, es wurde ganz steif und brüllte, und dann starb es. Ich war erst acht, aber was um Himmels willen hätte ich denn tun sollen? Ich hab versucht, ihm aus der Flasche etwas Wasser zu trinken zu geben, aber es schrie und schrie, dann war es tot. Als sie zurückkam, hat sie mich fast umgebracht, bloß weil ich schlief. Was hätte ich denn tun können, wo es doch schon tot war? Dann schlief ich wieder ein… Da beschloß ich abzuhauen, sobald ich alt genug war. So, wie ich jetzt lebe, gefällt’s mir. Niemand erwartet was von mir, außer das, wofür sie bezahlen, und die übrige Zeit existiere ich für niemanden. Ich bin frei. «
    Der Wachtmeister stand eine Weile unbeweglich da, die Hände noch immer in den Manteltaschen, und starrte auf die dünnen Beine, die dreckigen Stöckelschuhe. In den Worten des Jungen lag ein Körnchen Wahrheit, eine Art unausgegorene Logik. Wer weder Mann noch Frau war, einfach ein Spielzeug, das man zu gewissen Stunden mieten konnte, der war tatsächlich niemand und frei von sozialer Verantwortung .
    »Und was für eine Freiheit ist das?« hakte er nach. »Die Freiheit, von irgendeinem verrückten Freier in Stücke gesägt zu werden oder sich Aids zu holen oder an einer Überdosis zu krepieren? Was für eine Freiheit, hm? «
    Doch der Junge sah nur erwartungsvoll zu den Scheinwerfern hin .
    »Ist doch egal«, sagte er. »An irgendwas stirbt man sowieso. Jedenfalls, wenn ich genug Geld verdient habe, kann ich immer noch aussteigen. Wenn ich dreißig bin oder so und mein Leben vorbei ist, dann steige ich vielleicht aus… «
    Er richtete sich auf, als ein Auto anzuhalten schien, doch der Fahrer mußte die Uniform des Wachtmeisters entdeckt haben und fuhr weiter. Der Junge sah erwartungsvoll die lange, erleuchtete Allee hinunter, auf deren nassem Asphalt sich eine fast ununterbrochene Lichterkette spiegelte .
    Der Wachtmeister stieg wieder in sein Auto und fuhr heim .
    Vor dem Pitti bremste er so vorsichtig wie möglich, um auf dem Schotterbelag keinen Lärm zu machen. Er stellte den Motor ab und schaltete die Scheinwerfer aus, blieb in sich zusammengesunken sitzen und starrte hinaus in das Dunkel. Fast hätte man glauben können, er sei eingeschlafen, so reglos saß er da. Bald darauf riß er sich hoch, stieg aus und schloß leise die Tür, um in der vollkommenen Stille keinen Lärm zu machen. Seine schweren Schritte knirschten über den Schotter, dann blieb er stehen. Weshalb war es so unnatürlich still ?
    Er mußte eine Weile nachdenken, bevor es ihm klar wurde: Es hatte aufgehört zu regnen. Er sah hoch. Der Himmel war schwarz und mit Sternen übersät. Es war auch kälter geworden. Morgen würde es klar und sonnig sein. Morgen war Donnerstag, sein freier Tag.

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