Tod einer Queen
schluckte zwei Pillen, ließ die Schachtel zu Boden fallen, und warf sich vornüber auf die Pritsche. Seine schwarzen Seidenstrümpfe waren zerrissen und voller Laufmaschen, und eine Schlammkruste klebte auf seinem halbnackten Hintern. Es war heiß in der winzigen Zelle, aber der Wachtmeister breitete, eher aus einem Schicklichkeitssinn als aus einem anderen Grund, seinen inzwischen dreckigen Mantel über den ausgestreckten Körper und ging hinaus .
Bruno wartete draußen vor dem Haupteingang im Auto. Er ließ den Motor an, aber der Wachtmeister sagte: »Ich würde gern laufen. Die frische Luft tut mir bestimmt gut. «
»Aber es regnet noch, Herr Wachtmeister, und Sie haben Ihren Mantel vergessen. «
»Na schön.« Gehorsam stieg er ein .
Vielleicht hatte er sich an diesen unregelmäßigen Dienst schon gewöhnt. Jedenfalls schlief er tief bis in den späten Vormittag hinein, bis er von Teresas Anstrengungen, in der Küche keinen Lärm zu machen, schließlich wach wurde. Er lag eine Weile da, schwer und warm, genoß die friedliche Sonntagsatmosphäre, durch die geschlossene Tür zog der Duft von Braten, und nebenan waren die gedämpften Stimmen seiner Familie zu hören. Er schloß die Augen und wäre beinahe wieder eingeschlafen, doch da setzte der aufdringliche Lärm der Glocken von San Felice ein, und bald darauf erklang das eher würdevolle und gemessene Geläut des Domes auf der anderen Arnoseite. Er drehte sich, um auf den Wecker zu sehen, und in dem Moment begann sein Gesicht zu brennen, so daß die Erinnerung an die vergangene Nacht in ihm aufstieg und seine friedliche Stimmung zunichte machte .
»Bist du wach?« Teresa spähte ins Zimmer .
»Fast. Es riecht gut! «
»Dauert noch eine Stunde. Soll ich dir einen Kaffee machen?« Ihr Blick richtete sich auf seine zerkratzte Wange. Er hatte sie vor dem Zubettgehen mit Jod behandelt, und es mußte ziemlich böse ausgesehen haben, doch Teresa verschwand, ohne ein Wort darüber zu verlieren .
Er duschte ausgiebig und zog bequeme Sonntagskleider an, wollte das normale, friedliche Gefühl wiedergewinnen, mit dem er aufgewacht war. Es funktionierte nicht. Das Bild der abgerissenen, verschmutzten Gestalt auf der alten, braunen Decke drängte sich ihm auf. Was für einen Sonntag würde er wohl haben, in der winzigen, heißen Zelle mit dem ständig lärmenden Generator davor .
Während des Mittagessens starrten die beiden Jungen unentwegt auf sein Gesicht, aber offensichtlich hatten sie die Anweisung bekommen, nichts zu sagen. Alle drei schwiegen ostentativ. Er war hungrig und aß viel, sagte aber kaum ein Wort .
Als die Jungen schließlich aufstehen wollten, zögerte Giovanni .
»Mamma, hast du… «
»Später. Geht und lernt noch eine Stunde. Papa ist müde. «
»Aber er ist doch gerade erst aufgestanden«, wandte Totò ein .
»Tut, was ich sage. «
Sie gingen auf ihr Zimmer .
»Was wollte Giovanni denn? «
»Ach nichts. Ich räume jetzt ab. Willst du die Zeitung haben? «
»Nein. Nein, ich würde lieber was unternehmen. Wie wär’s mit einem Spaziergang durch den Boboli? Es scheint aufzuklaren.« Ein scharfer Gebirgswind vertrieb die zerzausten Überreste der Wolken von vergangener Nacht. Es würde kälter sein, aber heller und freundlicher .
»Tjaaa… «
»Wir können auch in die Stadt gehen«, meinte er nachgiebig, »wenn du lieber einen Schaufensterbummel machen möchtest. «
»Das ist es nicht. Mir ist es egal, ich hab den Jungen nur versprochen… «
»Was? «
»Daß wir mit dem Fahrrad einen Ausflug zum CascinePark machen. «
»Nein. «
»Aber Salva, du weißt doch, daß sie keine andere Gelegenheit haben, Fahrrad zu fahren. Wenn du nicht willst, daß sie auf den Straßen … «
»Bei dem Verkehr in dieser Stadt können sie unmöglich – auf den Straßen fahren. Kommt gar nicht in Frage! «
»Ich weiß. Deshalb habe ich ihnen ja versprochen, mit in den Park zu gehen. Allein kann ich sie nicht dorthin lassen, dafür sind die Straßen um den Ponte alla Vittoria viel zu gefährlich. «
»Allein? Verkehr oder kein Verkehr, ohne Begleitung gehen sie nicht in den Park! «
»Warum regst du dich so auf? Wir sind doch schon mal dort gewesen mit ihnen. Für uns ist es ein netter Spaziergang, und sie können auf den Fahrradwegen nach Herzenslust fahren. Na ja, laß mal, ich bringe sie allein hin. Vielleicht solltest du wieder ins Bett gehen… «
Einer ihrer unvollendeten Sätze. Gemeint war: »Vielleicht solltest du wieder ins Bett gehen,
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