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Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman

Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman

Titel: Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lennon
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Reden Sie mit mir.«
    Ihre Augen sahen zu Boden. Dann begegneten sie seinem Blick. Sie waren grau wie zerbrochener Schiefer und blinzelten nicht.
    »Jeder hat irgendetwas, Inspector. Etwas, was er für sich behält. Sie etwa nicht?«
    Das ließ ihn einen Moment lang stocken. »Wir reden hier über Jake Skerrit.«
    Er sah, dass ihre Finger zitterten, als sie die Blüte fallen ließ.
    »Ich habe versagt. Ich habe versagt, und ich weiß nicht einmal, was meine Aufgabe ist.«
    »Olga, wovor haben Sie Angst?«
    Sie zertrat die Lonicera-Blüte unter den Schuhsohlen, bis nur noch Fetzen übrig waren. Ihr Duft hing noch immer in der Luft.
     
    Am Ende des Jahrzehnts hatte die Kluft zwischen Produktion und Nachfrage die Sowjetunion in eine endlose Stagnation geführt.
     Ihr wirtschaftliches Überleben hing vom Import bestimmter Güter aus dem Westen ab, industrieller Rohstoffe – insbesondere
     Metalle – , die eine zentralisierte Planwirtschaft nicht in ausreichenden Mengen herstellen konnte. Der Westen wollte dafür natürlich
     Geld – doch der sowjetische Rubel war wertlos. Sein Geldwert war eine rein fiktive Größe der staatlichen Planungsstäbe. Die
     forcierten Exporte in Satellitenstaaten brachten nur andere wertlose Währungen ins Land. Die Sowjetunion brauchte daher dringend
     einen steten Zustrom westlicher Devisen. Dies war bekannt, wurde aber niemals öffentlich eingestanden oder diskutiert.
    Doch wurde von den staatlichen Planern ein Devisenbeschaffungsprogramm initiiert. Es wurden Anstrengungen unternommen, durch
     den Export bestimmter hochwertiger Güter einen möglichst breiten Devisenstrom ins Land zu lenken.
Kaviar und Wodka, die an die exklusiven Restaurants im Paris und New York der siebziger Jahre verkauft wurden, spielten dabei
     als Exportgüter eine Rolle.
    Größere Hoffnungen setzte Russland allerdings auf den Export von Maschinen. Man glaubte, das Interesse der kapitalistischen
     Länder an Russlands ausgesprochen einfachen Fahrzeugen wecken zu können. Niva produzierte bereits einen Jeep, der sich gut
     nach Westeuropa verkaufte. Das Werk erhielt nun Anweisung, auch andere Produkte für den Export herzustellen, und zwar insbesondere
     Landmaschinen. Und hier wiederum insbesondere Traktoren.
     
    Fletcher vergewisserte sich, dass Jakes Zimmer abgeschlossen war, und wollte dann zu seinem Auto gehen. Als er die Haustür
     öffnete, sah er auf dem gekiesten Vorplatz ein Paar mittleren Alters stehen, achtbar und schweigsam. Die Frau trug trotz der
     Hitze einen dunklen Mantel und ein Kopftuch und hatte nach einer durchweinten Nacht rotgeränderte Augen. Der Mann hatte einen
     abgetragenen, aber einstmals teuren Anzug an, hielt sich sehr aufrecht und sah Fletcher fest in die Augen. Fletcher stellte
     sich vor, wusste aber schon, wer die beiden waren, bevor der Mann es ihm sagte.
    »Wir sind Jakes Eltern. Wir sind von Norwich hergefahren. Wir würden gern seine Sachen abholen.«
    Fletcher dachte an das Zimmer mit dem verrückten Wandbild und an Olga, die im Wintergarten saß und Blumen unter den Schuhsohlen
     zertrat.
    »Es tut mir leid, aber das ist derzeit noch nicht möglich. Es wird noch einige Tage dauern.«
    Die Frau sah ihn an. »Er hat uns gesagt, dass er hier glücklich ist. Sehr glücklich. Er liebte die Traktoren.«
    Sie unterhielten sich noch kurz. Sie besprachen die Punkte, die Polizeibeamte immer mit den Hinterbliebenen besprechen: die
     Autopsie und die gerichtliche Untersuchung, dieMöglichkeit, psychologischen Beistand zu bekommen. Dann verabschiedete Fletcher sich mit einem Händedruck. Die Hand der Mutter
     war zerbrechlich und feucht, doch der Händedruck des Vaters war fest. Irgendwie schnürte es Fletcher deswegen die Kehle zu.
     Als er sein Auto aufschloss, folgte Jakes Vater ihm und ergriff ihn beim Arm. Es war ein harter Griff, aber Fletcher spürte
     dennoch, dass die Hand des Mannes zitterte.
    »Sie hat die Leiche nicht gesehen, aber ich schon. Es soll ein Unfall gewesen sein. Glauben Sie das?«
    »Wir haben gerade erst mit den Ermittlungen begonnen. Ich muss Sie um Geduld bitten.«
    Die zitternde Hand packte einen Moment lang noch fester zu, ließ ihn dann aber los. »Ich werde Geduld haben, um ihretwillen.«
     Er richtete sich erneut auf und sah auf seine Frau. Er hatte Falten im düster verschatteten Gesicht. Zwischen den Augen war
     eine tiefe Furche, die sich nie wieder glätten würde. »Bitte, finden Sie es heraus. Er war unser einziger Sohn. Ich dachte,
     er würde

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