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Tod einer Verrückten

Tod einer Verrückten

Titel: Tod einer Verrückten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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    »Salva? Bist du das? «
    »Mm. «
    »Ich dachte, ich hätte dich hereinkommen hören. Was machst du denn bloß da draußen?« Sie war schon im Bett, und er hatte sie nicht aufwecken wollen, konnte der Versuchung aber doch nicht widerstehen, einen Blick in die Schublade im Flur zu werfen .
    »Ich komme gleich«, rief er .
    Da … eine Schachtel mit Knöpfen, eine zweite Schachtel, die nur seine Uniformknöpfe enthielt … das Verbandszeug, das im Badezimmerschränkchen keinen Platz mehr hatte, Nähzeug, eine Schere … die Schere? Neulich hatte er ewig danach gesucht … Es dauerte nicht lange, bis er zutage förderte, wonach er gesucht hatte: eine Schuhschachtel mit alten Fotos. Lauter Schnappschüsse, die nicht gut genug waren fürs Fotoalbum. Einige waren unscharf, ein paar waren gegen die Sonne aufgenommen, wieder andere überbelichtet, Monster mit zwei Köpfen oder gespenstische Schatten. Er entdeckte ein Foto von den beiden Jungen am Strand daheim in Sizilien und war ganz erstaunt, wie klein und mollig und babyhaft sie aussahen. Er konnte sich nicht erinnern, sie je so erlebt zu haben. Natürlich hatte er sie in dem Alter nur selten zu Gesicht bekommen, weil man ihn nach Florenz versetzt hatte. Er warf einen Blick auf das Datum auf der Rückseite und legte das Foto wieder in die Schachtel. Die Fotografien ganz unten waren alt und verblichen und stammten von seiner Mutter. Er hatte keine Ahnung, wie sie hierhergelangt waren, aber sie waren nun mal da. Manche Sachen folgten einem anscheinend überall hin, ohne daß man sich darum kümmerte, während andere, wichtigere Dinge beim Umziehen verlorengingen. Er war überzeugt, daß das in jeder Familie so war. Und trotzdem hatte er in Clementinas Wohnung nicht ein einziges Foto entdeckt. Sie war verheiratet gewesen, aber nirgends gab es ein Hochzeitsfoto. Und auch wenn sie keine Kinder gehabt hatte, war sie selbst einmal ein Kind gewesen. Sie hatte eine Vergangenheit, eine Familie, wie jeder Mensch. Wie war es möglich, daß es in ihrer Wohnung nicht ein einziges Foto gab? Behutsam machte er die Schuhschachtel wieder zu und schloß die hartnäckige Schublade .
    »Salva! Was um Himmels willen …? «
    »Ich komme schon. «
    Teresa saß im Bett und hatte das Nachttischlämpchen an. Die Luft war durchtränkt vom schweren Geruch des Mückenkillers, und in einer Ecke summte ein Ventilator, der wenig mehr bewirkte, als die heiße Luft durcheinanderzuwirbeln .
    »Hab ich dich aufgeweckt?« Er begann sein Hemd aufzuknöpfen .
    »Ich habe nicht geschlafen, sonst hättest du mich mit deinem Krach aufgeweckt. Was hast du denn bloß gemacht? «
    »Mir alte Fotos angesehen. «
    »Unsere? Wozu denn? Welche Fotos? «
    »Die Schnappschüsse aus der Schachtel in der Schublade. «
    »Um diese Zeit? Die taugen doch alle nichts. Eigentlich sollte man sie wegwerfen. «
    »Aber man wirft sie nicht weg, das ist der springende Punkt. «
    »Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst. Ich werde sie bald mal aussortieren, aber irgendwie sammeln sie sich Jahr für Jahr an. «
    »Genau. «
    »Wenn ich doch nur wüßte, wovon du redest. «
    »Von Clementina. «
    »Dieser Verrückten? «
    »Ja. Sie ist tot. «
    »Nein! «
    »Doch. Und in ihrer Wohnung war nicht ein einziges Foto, kein einziger Schnappschuß. «
    »Aber … haben sie dich deshalb gerufen? «
    »Ja. Ich glaube, ich hole mir noch ein Glas Wasser. Möchtest du irgend etwas? «
    »Nein, aber hast du gegessen? «
    Das hatte er ganz vergessen. »Nein … Vielleicht mache ich mir noch ein Brot. «
    »Ich richte dir eines. «
    »Nein, nein. Bleib liegen. «
    Als er so allein im Schlafanzug am Küchentisch saß, vor sich ein belegtes Brot, überkam ihn ein merkwürdiges Gefühl, das er nicht gleich einordnen konnte, weil er abgelenkt war. Er überlegte, ob er jemals in einer Wohnung gewesen war, in der es nicht wenigstens ein oder zwei Fotos gab, aber er konnte sich an keine erinnern. Als Kind zu Hause im Süden hatte er Bauernfamilien gekannt, die nicht genügend zu essen hatten und garantiert keinen Fotoapparat besaßen, aber selbst die hatten Fotografien von jeder Erstkommunion und jeder Hochzeit. Mag sein, daß Clementina verrückt war, aber für seine Begriffe reichte das als Erklärung nicht aus. Das Problem war, sobald ein Mensch einmal als verrückt abgestempelt war, wurde alles, was er tat oder sagte, damit gerechtfertigt. Wie oft hatte er das bisher gehört ?
    »Natürlich, sie war ja verrückt.« – »Alles an ihr war

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