Tod einer Verrückten
die rote Kuppel und den weißen Marmorturm des Doms vor dem hellblauen dunstigen Himmel zu erhaschen. Darüber freute er sich jedesmal. Seine frisch gebügelte Uniform fühlte sich auf der Haut angenehm an. Er hätte einiges darum gegeben, um diese Zeit sein Büro verlassen zu können, aber es gab viel zu erledigen, und bis er damit fertig war, würde die Luft draußen ebenso heiß und schweißgetränkt sein wie seine Uniform. So blieb er einen genußvollen Augenblick lang am offenen Fenster stehen, bis er die Jungs die Treppe herunterpoltern hörte .
»Morgen, Maresciallo. «
»Morgen, Jungs. Setzt euch einen Augenblick, alle beide. Alles in Ordnung?« Diese Bemerkung war an den linken Burschen gerichtet, einen kräftigen, fröhlichen Rekruten .
»Si, Signore!« Er bestand darauf, den Maresciallo ›Signore‹ zu nennen und die Hacken zusammenzuknallen, wenn man es am wenigsten erwartete. Der Maresciallo fand ihn beunruhigend zackig, während sich die anderen Rekruten über ihn lustig machten. Di Nuccio grinste. Der Maresciallo wahrte seinen glupschäugigen Ernst .
Die Tür wurde aufgestoßen, noch während jemand anklopfte .
»Wir holen die Post, Maresciallo. «
»Wartet.« Der Maresciallo schob den vorläufigen Bericht über die Ereignisse der vergangenen Nacht in einen großen Umschlag. »Gebt das zuerst im Büro des Staatsanwalts ab – und beeilt euch heute morgen, weil ich Di Nuccio losschicken will, sobald ihr zurück seid.« Er hatte einen guten Grund, sie zur Eile zu mahnen. Die Post in der Kommandantur abzuholen war eine begehrte Aufgabe, weil man dort unweigerlich alte Freunde traf und immer einen raschen Espresso und ein kurzes Schwätzchen einschieben konnte. Der Maresciallo wußte das, stellte sich aber dumm .
Als sie verschwunden waren, sprach er kurz mit dem Rekruten, der Bruno hieß, wobei er sich Mühe gab, Di Nuccios Grinsen zu übersehen. Man mußte diesen Burschen einfach mögen, obwohl er ziemlich überspannt war. Als er hier ankam, war er ein Fitnessfanatiker gewesen und hatte jede freie Minute mit Hanteln und Expandern trainiert. Drei Wochen später verlegte er sich aufs Aquarellieren, und die Hanteln verschwanden. Dabei konnte man ihm nicht vorwerfen, daß er sich nur oberflächlich mit diesen Dingen beschäftigte. Solange seine Begeisterung anhielt, widmete er sich einer Sache mit Haut und Haar und erzielte beachtliche Erfolge. Die anderen Rekruten machten sich andauernd über ihn lustig, aber es ließ sich nicht leugnen, daß er beeindruckende Muskeln hatte; und erst letzte Woche hatte er für eines seiner Bilder einen Preis gewonnen. Der Maresciallo seinerseits konnte sich nicht beklagen. Wenn der Junge gewollt hätte, hätte er jederzeit auf die Universität gehen und den Militärdienst jahrelang hinauszögern können, aber er hatte seine Einberufung mit achtzehn akzeptiert, war in die Uniform geschlüpft und brachte selbst dafür überschwengliche Begeisterung auf. Der Maresciallo hatte noch nie einen Rekruten erlebt, der den Militärdienst so offensichtlich genoß, selbst wenn er nur darin bestand, an einer zugigen Straßenecke Wache zu schieben. Nichts konnte seine Begeisterung dämpfen, und nichts ging ihm gegen den Strich .
»Darf ich Sie etwas fragen, Signore?« fragte Bruno mit glänzenden Augen, sobald sich in der väterlichen Ansprache des Maresciallo eine Pause andeutete .
»Nenn mich nicht ›Signore‹. «
»No, Signore – Maresciallo, ist es Ihnen erlaubt, mit uns zu essen? «
»Was …? «
»Dürfen wir Sie zu uns nach oben zum Essen einladen, Signore? «
»Bloß nicht …! «
»Tut mir leid. «
»Er hat sich aufs Kochen verlegt!« warf Di Nuccio ein, der sich das Lachen kaum verkneifen konnte .
»Auf chinesische Küche«, stellte Bruno mit ernstem Gesicht richtig. »Ich war schon immer ein guter Koch. Und ich plane ein besonderes Essen – noch nicht gleich, weil ich die Zutaten erst bekomme, wenn wieder alle Läden aufhaben. Aber ich möchte Sie gern einladen. «
»Wir werden sehen …«, murmelte der Maresciallo verblüfft .
»Du gehst jetzt besser an die Arbeit. Ich möchte mit Di Nuccio was bereden. «
Bruno sprang auf, grüßte zackig, marschierte hinaus, als stünde er unter Bewachung, und knallte die Tür hinter sich zu .
»Dieser Bursche …«, begann der Maresciallo, ließ den Satz aber in der Luft hängen, weil ihm nichts Rechtes einfiel .
»Er hat die ganze Kocherei übernommen, alles!« sagte Di Nuccio und prustete los. »Wir leben da oben
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