Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod einer Verrückten

Tod einer Verrückten

Titel: Tod einer Verrückten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
Vom Netzwerk:
Dämmerung aus dem Fenster zu stürzen. Ich hatte nicht den Mut, ein drittes Mal hinzugehen, und abgesehen davon ist kurz nach meinem zweiten Besuch meine Schwiegermutter krank geworden und zu uns gezogen .
    Das letzte Mal hörte ich von Anna am zweiten Jahrestag der Überschwemmung. Als ich in den Nachrichten die alten Filmberichte sah, mußte ich an sie denken und habe in San Salvi angerufen. Dort hat man mir sehr freundlich erklärt, ich brauchte kein schlechtes Gewissen zu haben, weil ich sie nicht besucht hatte, da sie ohnehin niemanden erkannte, nicht einmal ihre Schwester. Offenbar hatte sie wieder angefangen zu sprechen, hatte sich aber eine aggressive und obszöne Ausdrucksweise angewöhnt, vor allem den Nonnen gegenüber. Irgendwie konnte ich das verstehen, habe aber nichts gesagt. Ich habe mir überlegt, wie ihre Schwester das wohl aufnahm. Ich bin überzeugt, daß sie Anna zu sich genommen hätte, egal, wie sie sich benahm, wenn sie nicht solche Probleme mit ihrem Mann gehabt hätte. Tja, Anna muß sich wohl bis zu einem gewissen Grad erholt haben, weil sie irgendwann entlassen wurde. Ich frage mich, was aus der Schwester geworden ist. In der Zeitung stand, daß Anna allein gelebt hat, als sie starb. «
    »Ja, allein. Und in bitterer Armut. «
    »In Armut? Das überrascht mich, nach allem, was mir ihre Schwester damals erzählt hat. «
    »In Anbetracht dessen, was Sie mir gerade erzählt haben, ist es auch überraschend. Vielleicht hatte sie ja irgendwo Geld versteckt, das wir nicht gefunden haben. «
    Der Maresciallo erhob sich. Plötzlich hatte er genug von diesem düsteren, ordentlichen Zimmer. Er wollte im Krankenhaus anrufen, und er verspürte das Bedürfnis, allein zu sein und alles zu überdenken, was er soeben von Signora Santoli erfahren hatte. Trotz der vielen Dinge, die ihm im Kopf herumgingen, war ihm bewußt, daß es dieser würdevollen und einsamen Frau leid tat, ihn aufbrechen zu sehen .
    »Darf ich fragen«, sagte sie, »wann das Begräbnis stattfinden soll? «
    »Das weiß ich nicht, ehrlich gesagt, aber wenn Sie möchten, kann ich Sie anrufen, sobald ich es erfahre. «
    »Vielen Dank. «
    Sie gingen in den Flur hinaus, wo sie ihre Nummer auf den ordentlichen leeren Block neben dem Telefon schrieb .
    »Ich wäre Ihnen sehr dankbar«, sagte sie, als er den Zettel in seine Brusttasche steckte. »Ich würde gern zur Beerdigung gehen. Schließlich war sie einmal ein Teil meines Lebens. Je mehr Zeit vergeht, um so mehr klammert man sich an Kleinigkeiten. «
    »Ja«, sagte der Maresciallo. »Da haben Sie recht. Vielleicht ist es mir deshalb so aufgefallen, daß ich in ihrer Wohnung kein einziges Foto und kein Andenken gefunden habe – genau das, was Sie nach der Katastrophe zu finden gehofft hatten und nicht finden konnten. «
    »Das stimmt, ihre ganze Vergangenheit ist ausradiert worden. Aber etwas hatte sie, auch wenn sie es vielleicht nicht aufgehoben hat. Sie haben mich gerade daran erinnert. Als ich sie das zweite Mal in San Salvi besuchte, habe ich ihr den Zeitungsartikel mitgebracht, in dem über sie berichtet wurde. Ich dachte, vielleicht würde der Schock sie zum Sprechen bringen. Schließlich kann man nie ganz sicher sein, daß sich solche Menschen ununterbrochen in einem Zustand der Umnachtung befinden. Das empfinde ich auch bei meiner Schwiegermutter so. Woher will ich wissen, daß sie nicht für kurze Augenblicke klar bei Verstand ist und merkt, was mit ihr geschieht und daß ich hier bin und mich um sie kümmere? Oft ist das der einzige Grund für mich weiterzumachen. Auf Anna hatte diese Zeitungsseite keine unmittelbare Wirkung, aber ich habe sie ihr dagelassen, denn man kann nie wissen. «
    »Standen da zufällig Name und Adresse der Schwester drin? «
    »Davon bin ich überzeugt, aber ich kann mich nicht daran erinnern, tut mir leid. «
    »Das macht nichts. Ich kann mir den Artikel aus dem Zeitungsarchiv besorgen. Ich glaube nicht, daß Anna ihn weggeworfen hat«, fügte er hinzu, »aber jetzt ist er verschwunden. «
    »Ich fürchte, ich war Ihnen keine große Hilfe. «
    »Doch, Sie haben mir sehr geholfen. Und wegen des Begräbnisses sage ich Ihnen Bescheid. «
    Als sie die Tür hinter ihm schloß, hörte er sie liebevoll sagen: »Schon gut. Ist schon gut. Ich komme gleich und setze mich ein bißchen zu dir. «
    Er ging die Treppe hinunter und trat in die Hitze hinaus. Jetzt hatte er eine genauere Vorstellung davon, wer der Mann, den er suchte, sein könnte; der Mann, der

Weitere Kostenlose Bücher