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Tod einer Verrückten

Tod einer Verrückten

Titel: Tod einer Verrückten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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aufgefallen, daß ihre Augen unnatürlich glänzten, als hätte sie Fieber .
    ›Versuch sie zum Reden zu bringen‹, flüsterte mir mein Mann zu .
    Ich habe es wieder und wieder versucht, aber es war hoffnungslos. Ich habe sie nie wieder sprechen hören .
    Als die Sanitäter kamen, fegte sie mit einem schlammtriefenden Handbesen langsam über die Oberfläche des Schlamms. Trotz unserer Befürchtungen ist sie mitgegangen, ohne sich zu wehren; anscheinend war ihr weder klar, daß man sie in einem Panzer zusammen mit anderen Verletzten abtransportierte, noch hatte sie etwas dagegen. «
    »Wurde sie nach Santa Maria Nuova gebracht? «
    »Ich glaube schon. Zumindest war sie dort, als ich sie das nächste Mal gesehen habe, aber in diesen ersten Tagen herrschte ein solches Chaos, daß man sie möglicherweise erst woanders hingebracht hat, weil alle Krankenhäuser überfüllt waren. Das war auch der Grund, warum ich es ein paar Tage hinausgeschoben hatte, selbst zum Arzt zu gehen, aber schließlich erschien es mir doch klüger, weil die Schnittwunden von dem zersprungenen Fenster zum Teil ziemlich übel aussahen. Sie hätten genäht werden müssen und waren leicht entzündet. Wie Sie sehen, habe ich häßliche Narben zurückbehalten.« Sie drehte den Ellbogen nach oben, um dem Maresciallo eine breite weiße Narbe zu zeigen .
    »Ich weiß nicht mehr genau, an welchem Tag ich endlich auf die Unfallstation von Santa Maria Nuova gegangen bin. Vielleicht am Sonntag oder auch am Montag, aber ich fürchte, die ersten paar Tage sind in meiner Erinnerung durcheinandergeraten. «
    »Das kann ich gut verstehen. Der Tag ist auch nicht wichtig .
    Haben Sie Anna gesehen? «
    Der Maresciallo empfand es als eigenartig, sie so zu nennen, aber sie schienen von einer ganz anderen Person zu sprechen, die noch nicht Clementina geworden war .
    »Ich habe sie gesehen, aber nur kurz. Nachdem sie mir den Arm verbunden hatten – zum Nähen sei es zu spät, hieß es –, habe ich mich nach ihr erkundigt und erfahren, daß sie in der Inneren Abteilung liegt, auf der Frauenstation. Ich bin hinaufgegangen und habe mit der Stationsschwester gesprochen, aber Anna bekam ich nur kurz zu Gesicht. Ich hatte recht gehabt mit dem Fieber. Sie hatte Lungenentzündung und lag unter einem Sauerstoffzelt. Trotzdem würde sie durchkommen, meinte die Schwester. «
    Die Erwähnung des Krankenhauses tat ihre Wirkung. Würden sie das auch bei Bruno sagen? »Er wird durchkommen …« Womöglich hatten sie ihn schon operiert … Vielleicht hatte Signora Santoli bemerkt, daß seine Gedanken abschweiften, und das mißverstanden .
    »Ich fürchte, ich habe Ihnen nicht das erzählt, was Sie wissen wollen, aber ich erzähle eben, woran ich mich erinnere. «
    »Nein, nein. Bitte fahren Sie fort. Das sind genau die Dinge, die ich wissen möchte. Ich fange allmählich an, Clementinas merkwürdige Art zu begreifen. «
    »Wie komisch, daß Sie sie so nennen. Ich wußte gar nicht, daß sie noch einen Vornamen hatte. «
    »Nachdem sie so lange nicht gesprochen hat, könnte ich mir denken, daß die Leute in der Anstalt sie so genannt haben und nicht Anna. «
    »Wahrscheinlich ist das der Grund, aber es hört sich an, als wäre von einem anderen Menschen die Rede. «
    »Zu dem Zeitpunkt war sie in vieler Beziehung ein anderer Mensch. «
    »Ist ja auch kein Wunder, oder? Sie hat alles verloren – Mann und Kind, Einkommen, ihre ganze Habe, sogar das Haus, das sie gerade zu bauen angefangen hatten. Alles einfach weggeschwemmt. Das ging mir so durch den Kopf, als ich an dem Tag aus dem Krankenhaus kam; mit alldem würde sie sich abfinden müssen, sobald sie ihre Krankheit überstanden hatte. «
    »Sie hat sich nie damit abgefunden. «
    »Das wundert mich nicht. Schließlich muß man etwas haben, irgend etwas Kleines, woran man sich klammern kann, das einem einen Grund gibt weiterzumachen. Sie hatte überhaupt nichts mehr. Nicht einmal die zerstörten Überreste dessen, was ihr gehört hatte, und die ruinierten Kleider, die alle mit dem Schlamm abgesaugt worden waren. Das ging mir durch den Kopf, als ich an dem Tag durch die verwüstete Stadt nach Hause gegangen bin. Überall ringsum haben die Menschen versucht, ihr Leben wieder zusammenzuflicken. Es schien hoffnungslos, aber sie haben es versucht. Ich erinnere mich noch, daß sämtliche Geschäftsleute versucht haben, aus den Unmengen von Schlamm, Abwasser und Öl ihre Kleider, Bilder und Möbel zu fischen und irgendwie zu retten, und

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