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Tod einer Verrückten

Tod einer Verrückten

Titel: Tod einer Verrückten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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ob Anna um Hilfe gerufen hat, aber wir wissen, daß sie neben ihrer toten Mutter stehenblieb, bis mein Vater von der Arbeit zurückkehrte und ins Zimmer kam. Anna hat nicht geweint, sie stand einfach nur da, kreidebleich und stumm. Mag sein, daß sie um Hilfe gerufen hatte, denn wie sich herausstellte, war zufällig kein Dienstbote in Hörweite. Ich selbst habe erst einen Tag später vom Tod meiner Mutter erfahren. Man hat dafür gesorgt, daß wir Kinder uns nicht sahen. Vermutlich hielt man das für das Beste. Da keine weibliche Verwandte da war, die bereit gewesen wäre, die Verantwortung für zwei kleine Mädchen zu übernehmen, brachte man uns in ein Kloster. Da ich die Ältere war, hat sich Anna auf mich verlassen wie auf eine Mutter, obwohl ich selbst erst zehn Jahre alt war. Meiner Meinung nach hat sie sich von dieser Sache nie erholt. Vielleicht hätte sie professionelle Hilfe gebraucht, aber damals war das nicht üblich, und die Nonnen waren eher streng als gütig. Von dem Tag an hatte ich immer Angst um Anna, weil ich wußte, daß sie auch den kleinsten Schwierigkeiten im Leben nicht gewachsen war. Als sie Chiari kennenlernte und ihn heiraten wollte, war mein Vater strikt dagegen. Ein Kunsthandwerker, Sie können sich vorstellen … Schließlich ist es mir gelungen, ihn zu überzeugen. Chiari war ein verläßlicher und ruhiger Mensch, genau das, was Anna brauchte. Bei den Problemen, die sie hatte, war das meiner Meinung nach das einzige, was zählte, und ich habe es nie bereut, ihr den Rücken gestärkt zu haben. Und jetzt das … darüber wird sie nie hinwegkommen. Aber was auch geschieht, ich bin immer für sie da. Solange ich lebe, wird sie nie allein sein, und es soll ihr nie an etwas fehlen, das schwöre ich vor Gott.‹ Danach habe ich sie nie mehr gesehen. «
    »Und Anna? «
    »Es hat sehr lange gedauert, bis ich Anna wiedergesehen habe. Wenig später mußte ich in die Schweiz fahren, weil mein Vater schwer krank geworden war. Ich bin ein paar Monate dort geblieben, bis zu seinem Tod. Bei meiner Rückkehr ging das Leben in Florenz wieder seinen normalen Gang. Aus aller Welt flossen Hilfsgelder, es war wirklich großartig. Aber gerade weil das Leben wieder seinen normalen Gang ging, habe ich den Verlust der kleinen Elena um so stärker empfunden; erst da traf er mich richtig, vermutlich weil zuvor ein zu großes Durcheinander geherrscht hatte. Durch eine Kleinigkeit wurde mir das so richtig bewußt. An einem Freitagmorgen stand ich unten im Fischladen an, und da erzählte eine Frau von einer furchtbaren Tragödie, die sich, glaube ich, in Wales zugetragen hatte. Ich habe nicht die ganze Geschichte mitbekommen, kenne also keine Einzelheiten, aber offenbar waren in einem Dorf sämtliche Kinder ums Leben gekommen. Das muß etwa zur selben Zeit gewesen sein wie die Überschwemmung, weil diese Frau berichtete, die Eltern hätten das ganze Spielzeug, das sie nicht mehr haben wollten, hierher geschickt, für die Kinder von Florenz. Es lag mir auf der Zunge zu sagen: ›Dann könnte die kleine Elena jetzt vielleicht …‹ Ich hielt inne und mußte mir sagen: ›Sie ist tot.‹ An dem Abend habe ich ein bißchen geweint, muß ich gestehen. Und am nächsten Tag habe ich mich nach Anna erkundigt. «
    »Hatte man sie inzwischen verlegt? «
    »Ja. Körperlich hatte sie sich anscheinend erholt, aber geistig nicht, wie ihre Schwester befürchtet hatte. Ich habe in Santa Maria Nuova nachgefragt. Dort sagte man mir, sie habe kein Wort gesprochen; sie habe jedoch wiederholt versucht, sich aus dem Fenster zu stürzen, jedesmal bei Einbruch der Dämmerung. Deshalb wurde beschlossen, sie nach San Salvi zu verlegen, aber das hatte sich etwas verzögert, weil sie noch in stationärer Behandlung bleiben mußte. «
    »Hatte das zufällig mit ihrer Haut zu tun? «
    »Ja. Wußten Sie das? Sie ging ihr am ganzen Körper ab, weil sie so viele Stunden in dem verseuchten Wasser gestanden hatte, in dem sich alle möglichen Chemikalien befanden. Man hat mir gesagt, daß ihr die Haut in Streifen abging, offenbar aber recht zufriedenstellend nachwuchs, ohne daß dauerhafte Schäden zurückblieben. Als es soweit war, haben sie sie verlegt. «
    »Und dann haben Sie sie in San Salvi besucht? «
    »Leider nur zweimal. Sie hat mich anscheinend nicht erkannt, und gesprochen hat sie auch nicht. Eine der Nonnen sagte mir, Anna habe sich angewöhnt, den ganzen Tag zu putzen und zu kehren. Aber sie hat nicht mehr versucht, sich bei Einbruch der

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