Tod einer Verrückten
hatte, schien das ziemlich unwahrscheinlich … »So oder so«, sagte der Maresciallo leise in die Stille des dunklen, kleinen Schlafzimmers hinein, »ich werde ihn finden.« Er sah sich ein letztes Mal um, verließ dann die Wohnung und sperrte die Tür zu. Normalerweise hätte er zu jedem anderen Zeitpunkt und in jeder Gemütsverfassung kurz innegehalten und sich überlegt, warum ihm der Staatsanwalt die Schlüssel zurückgeschickt hatte. Sie lagen auf seinem Schreibtisch, als er aus Santa Croce zurückkehrte, eine wortlose Kapitulation. Diesmal hielt er nicht inne, um sich über die Schlüssel oder über sonst etwas zu wundern. Er wurde nicht mehr von Zweifeln und Groll über seine mangelnde Intelligenz geplagt, sondern dachte an Bruno, der stumm und reglos in seinem weißen Krankenhausbett lag, an Clementina, ehemals Anna Franci, jetzt in einem Kühlfach eingeschlossen, und an einen ehrbar aussehenden, grauhaarigen Mann, den er vor Tagesende ausfindig zu machen gedachte. Nur daran dachte er. Sofern man das als »denken« bezeichnen durfte. Nachdem seine Frau während des ganzen Mittagessens dieser schweigenden, massigen Gestalt gegenübergesessen hatte, meinte sie zaghaft: »Ich bin sicher, daß Bruno die Operation bis heute abend überstanden hat und wieder bei Bewußtsein ist. Du wirst sehen.« Er hatte nicht einmal geantwortet .
Er blieb auf dem nächsten Treppenabsatz stehen und klingelte bei den Rossis. Da niemand aufmachte, ging er hinunter auf die Straße, überquerte den Platz und betrat Francos Bar. Franco stand hinter dem Tresen; das Lächeln, mit dem er den Maresciallo begrüßt hatte, wich aus seinem Gesicht .
»Was ist los, Maresciallo? Sie sehen irgendwie sonderbar aus – ist noch was passiert? «
»Ich brauche den Namen des Hausbesitzers. «
»Von Clementinas Wohnung? Den kann ich Ihnen nicht sagen. Ich glaube, das wird alles über eine Hausverwaltung abgewickelt. Die Rossis … «
»… sind nicht da. «
»Also ist doch was passiert? «
»Nein. «
Der Maresciallo drehte sich um und verließ die Bar. Es war ihm vage bewußt, daß er einen merkwürdigen Eindruck hinterlassen hatte. Er mochte und schätzte Franco, der ihm eine große Hilfe gewesen war, und wollte eigentlich vermeiden, daß er glaubte, er wolle ihm wegen der nächtlichen Zockerei Ärger machen. Er hätte umkehren und ihm alles erklären können, trottete aber weiter, denn diese diffusen Überlegungen reichten nicht aus, um ihn aufzuhalten. Jetzt würde ihn nichts mehr aufhalten, bis er getan hatte, was getan werden mußte .
Er hörte das erste Donnergrollen, als er die Treppe zum Carabinieri-Posten hinaufstieg und die Tür aufsperrte. Sofort tauchte Di Nuccio auf .
»Ich habe gerade im Krankenhaus angerufen. Er ist operiert worden, und alles ist planmäßig verlaufen. «
»Ist er bei Bewußtsein? «
»Nein. Noch nicht … Da war ein Anruf für Sie – vor einer Minute.« Er verschwand in den Wachraum und kehrte mit einem Blatt Papier zurück. »Vom Mieterschutzbund, eine Frau. Sie sagte, es sei wichtig. «
»Hm. «
»Soll ich Ihnen die Nummer geben? «
»Nein. «
»Sie hat gesagt … «
»Das spielt jetzt keine Rolle.« Er konnte sich jetzt nicht mit dem Problem der Rossis beschäftigen, würde aber beim Mieterschutzbund anrufen, nachdem er dem Mann in der Zelle drüben in der Kommandantur einen Besuch abgestattet hatte. Wahrscheinlich konnte ihm die Frau sogar sagen, wem die Wohnungen gehörten. Alles zu seiner Zeit. Er durfte sich jetzt nicht aufhalten lassen, und genau das würde die andere Seite versuchen. Er hatte versprochen, zu der Anhörung zu kommen, und das mußte vorerst genügen .
»Ich muß noch mal weg«, erklärte er Di Nuccio .
»Wann kommen Sie zurück? «
»Weiß ich nicht. «
»Weil eine junge Frau hier war, die Sie sprechen wollte und die sagte, es sei sehr dringend. «
Für den Maresciallo war jetzt nur eines dringend: einen ehrbaren, grauhaarigen Mann einzuholen, der ihm immer einen Schritt voraus war .
»Sag ihr, sie soll gleich morgen früh kommen. «
»Tut mir leid, das konnte ich nicht wissen … Ich habe ihr gesagt, sie soll gegen sechs noch mal vorbeischauen. Ich dachte, dann wären Sie da. «
»Kann schon sein.« Er schaute auf seine Armbanduhr. Es war zehn nach vier. »Kann schon sein …« Er ging in sein Büro, setzte sich an den Schreibtisch und zog seine klapprige Schreibmaschine zu sich heran. Di Nuccio stand unschlüssig in der Tür .
»Was gibt es denn noch?« Er spannte
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