Tod Eines Engländers
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» Ihnen ist nicht aufgefallen, ob er oft Besuch bek a m ? «
» Besuc h ? Ich habe nie Besucher gesehen. Er schien zurückgezo g en zu leben … Natürl i ch konnte e r Besuch haben, ohne daß ich es b e m erkt hätte . «
» Wenn er aber ungew ö h n lich viele Besucher geha b t hätte, ich meine: häufig, dann wäre Ihnen das ver m utlich aufgefallen ? «
» Schon m ö g lich … aber in einem so großen Haus … und ich bin oft n icht da. Ich würde m ich nur ungern auf etwas Konkretes f e stlegen . «
» Verstehe. Und die anderen Mieter? Was wissen Sie von ihne n ? «
» Nicht viel – äh m , außer daß die Fredianis oben verreist sind – die Frau ist Amerikanerin, er ist Juwelier, hat ein Geschäft auf dem Ponte Vecchio – gestern sind sie abgereist, wir sind uns m orgens n o ch begegnet, als ich aus dem Haus ging. Sie st i egen gerade m it einem Haufen Ge p äck in ein Taxi. Sie h aben mir fröhliche Weihnachten gewünscht – offenbar verbringen sie Weihnachten bei ihren Verwandten in A m erika . «
» Wissen Sie, wo in A m erik a ? «
» Nein, leider nicht … Aber Sie k ö nnten die Nachbarin fragen, Miss White, vielleicht weiß sie es. Kann sein, daß sie m i t der Frau bekannt ist, da sie beide englisch spr e chen . «
» S ignorina White fährt über Weihnachten nicht we g ? «
» Ich glaube nicht, ich glaube, sie ist n och im Haus. «
» Vielen Dank. Wir wer d en m al bei ihr vorbeisc h auen … Und was ist m i t Ihrem Nachbar hier auf dieser Et a g e ? «
» Der Richter ? « Sie waren auf dem W e g zur Tür. »Er ist zu Hause, wie Sie hören k ö nnen. Er ist pensioniert u nd wo h nt allein, nur m it einer Haushälterin. Ich weiß eigentlich nicht viel m ehr v o n ih m , als daß er Verdi-L i ebhaber ist. «
» Na, jedenfalls vielen D a nk, Sie hab e n uns se h r g eholfen …« Eine Übertreibung, doch der Ha u pt m ann schä m te sich, zeitweilig die Beherrschung verloren zu haben, was ihm als Mangel an Würde ersc h ien. » Ohne Portier ist es sehr schw e r für uns. «
» Ach, Herr Haupt m ann …« Sig n or Cipriani streckte verzweifelt die Hände in die Luft … » Wissen Sie, wieviel ein Portier kostet, heutzutage? Mindestens sechs Millionen pro Jahr … und m an muß erst m al je m and finden, der die Arbeit macht. Selbst bei dem geg e nwärtigen Wohnun g smangel würd e n junge Leu t e so einen Job nicht i n Betracht ziehen. Naja, wir sind jederzeit hier zu erreichen, falls Sie no c h weitere Fr a gen haben … «
Der Richter konnte ihnen nichts sagen. Er und seine Haushälterin waren die ganze Nacht zu Hause u nd wurd e n nicht durch irgendwelche Geräusche gestört. Die Haushälterin gestand, daß sie S c hlaftabletten nah m , und der Richter erklärte, er habe e inen tiefen Schlaf und sei noch nie von irgend etwas aufg e weckt wor d en. Sie gingen früh zu Bett. Den Engländer ka n nten sie nur vom Sehen, m an sagte sich höchst e ns guten Ta g . Ihres Wiss e ns hatte er nie Besuch .
Sie waren in einem kargen, m i t Büchern vollgestopften Zimmer e m p fangen worden, das einen unbenutzten Eindruck m achte. Der Richter selbst war ein hochg e wachsener, langweilig wirkender M a nn, ernst, beinahe m ürrisch. Daß er die kräftige Stim m e besaß, die sie nebenan gehört hatten, war kaum vorstellbar. Trotzde m , als sie wieder draußen im breiten steinernen Tre p penhaus standen, sch m etterte die Stim m e Bel l a figlia del amore m it ebensoviel S c h m elz und Leidenschaft wie zuvor. Sie stiegen in das oberste Stockwerk .
Miss W hites Tür stand s p errangelweit offen .
» K e ine Angst! Im m er hereinspaziert ! « rief ei n e laute Stim m e auf englisch. Ihre Besitzerin blieb unsi c htbar. Die beiden Män n er sahen ein a nder an .
» Sie sagt, wir sollen reinkom m en«, erklärte C arabiniere Bacci verwirrt. » Vielleicht hat sie uns kom m en hören. «
Zögernd se t zten sie ihre Mützen ab und betraten die Eingangshalle m it dem blanken terrakottagefliesten Fußboden .
» Schauen Sie sich u m ! Bin gleich bei Ihnen! Kostet ja nichts! Hah a ha ! «
Der Hauptmann sah Car a biniere Bacci fragend an .
» Ich weiß nicht genau, was … «
Sie gingen voran u n d schauten sich u m . In der Eingangshalle hing ein Ölporträt e i nes alten Mannes m it rosigem Gesicht und schlohweiß e m Haar und Bart. Auf einem Messingschild darunter stand: Walter Sav a ge Land o r, Dichter. *1 7 75 ( Warwick ) , †1864 (Floren z ) . Während sie das Ge m älde betrachteten,
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