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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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indem sie versuchte, ungezwungen auf dieses peinliche Manöver zu reagieren. Sie blickte Boyd an. »Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit, Mr. Boyd. Ich hoffe, Sie entschuldigen uns, dass wir uns so plötzlich verabschieden, aber falls jemand eine Verletzte zu dem Haus am Coldbath Square bringen sollte, werden wir dort gebraucht.« Sie sah ihre Schwester an. »Vielen Dank für deine Großzügigkeit, Marielle. Ich bin dir äußerst dankbar.«
    »Beim nächsten Mal musst du wirklich länger bleiben«, sagte Marielle verärgert. »Du musst zum Abendessen kommen oder uns ins Theater begleiten. Im Augenblick werden viele ausgezeichnete Stücke gespielt. Deine Interessen werden zu einseitig, Margaret. Das ist nicht gut für dich!«
    Margaret hörte nicht auf sie, verabschiedete sich von allen, und ein paar Augenblicke später standen sie und Hester draußen in der kühlen Luft auf der Straße und gingen zu der Ecke, wo sie am ehesten einen Hansom finden würden.
    »Was hat er denn so Hilfreiches gesagt?«, wollte Margaret wissen. »Ich begreife nicht, was das alles bedeutet und was davon wirklich von Nutzen sein soll.«
    »Mr. Boyd hat angedeutet, dass Baltimore neben der Eisenbahngesellschaft noch andere Einkommensquellen hatte«, sagte Hester vorsichtig.
    »Er ging also aus geschäftlichen Gründen in die Leather Lane?« Margaret war unsicher. »Bringt uns das etwas? Wir haben keine Ahnung, welche Geschäfte oder mit wem. Und haben Sie nicht gesagt, er sei gar nicht in der Leather Lane gestorben?«
    »Genau. Ich habe gesagt, es könnte sehr gut sein, dass er in der Portpool Lane starb.«
    Mit einem Ruck blieb Margaret stehen und drehte sich zu Hester um. »Sie meinen … in dem Bordell, das von dem Wucherer geführt wird?«
    »Ja … genau.«
    »Er hatte Gefallen daran … junge ehemals anständige Frauen zu demütigen?« Abscheu und Wut waren ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
    »Möglicherweise«, meinte Hester. »Aber was war seine andere Einkommensquelle? Seine Familie wird nichts darüber wissen, ebenso wenig wie die Steuereintreiber. Es würde sehr gut erklären, wieso er mehr Geld für seine Vergnügungen ausgeben konnte, als Baltimore und Söhne abwarf. Und sein Tod trifft zufällig genau mit Squeaky Robinsons Panik zusammen. Vielleicht hat die Sache nichts mit der Eisenbahn zu tun. Vielleicht sollten wir uns fragen … ob er als Kunde umgebracht wurde, weil er zu weit ging, oder als Wucherer, weil er zu gierig wurde?«
    Margaret war angespannt, aber ihr Blick war fest, nicht so ihre Stimme. »Was müssen wir jetzt tun? Wie können wir das herausfinden?«
    »Ich habe noch keinen Plan«, antwortete Hester. »Aber ich werde mir sicher etwas einfallen lassen.«
    Sie sah einen Hansom, trat vom Bordstein zurück und hob die Hand.
    Margaret folgte ihr mit gleicher Entschlossenheit.

8
    Monk war erschöpft, als er auf dem Bahnhof in London ankam. Er hatte Schmerzen, sodass er nichts anderes wollte, als nach Hause zu gehen, wenn möglich ein heißes Bad zu nehmen, dann mehrere Tassen Tee zu trinken, ins Bett zu gehen und sich zwischen sauberen Laken auszustrecken. Am besten wäre, wenn Hester neben ihm liegen, alles verstehen und ihn weder kritisieren noch ihm Vorwürfe machen würde, aber das war unmöglich. Dazu dürfte sie kein moralisches Gewissen besitzen. Doch was für ein Mensch wäre sie dann, wäre sie dann überhaupt eine reale Person? Wenn sie einfach nur da wäre, freundlich und warm im Dunkeln, ohne seine Ängste zu spüren.
    So würde es nicht sein, denn natürlich würde sie wissen, was er empfand: Angst vor der Wahrheit, Angst davor, Habgier und Feigheit in sich zu entdecken, die er verachten würde, oder Betrug, für den es keine Entschuldigung gab. Größer als sein Unrecht gegenüber Dundas war sein Unrecht gegenüber sich selbst, gegenüber allem, was er seit dem Unfall aus seinem Leben gemacht hatte. Hätte sie das nicht gewusst, in welchem Sinne wäre sie dann wirklich da gewesen? Gar nicht. Dann könnte sie genauso gut woanders sein. Sie würden miteinander reden, sich berühren, sich sogar lieben, aber sein Herz würde vollkommen allein bleiben. Diese Einsamkeit wäre schlimmer, als wären sie nie zusammengekommen, denn sie wäre eine Negation all dessen, was wirklich und wichtig gewesen war.
    Er würde also in eine öffentliche Badeanstalt gehen und sich einfach ein neues Hemd kaufen. Er würde einen Barbier aufsuchen, damit er ordentlich aussah, um am Nachmittag Katrina Harcus zu treffen und

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