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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Busen sich hob und senkte, als bemühte sie sich, ein Keuchen zu unterdrücken. Um sie zu beruhigen, hob er die Hand, als wollte er ihren Arm berühren, doch dann wurde ihm klar, wie wenig er sie im Grunde kannte. Das Verständnis für ihre Ängste, das Gefühl der Seelenverwandtschaft war einseitig. Mit Recht würde sie seine Berührung als aufdringlich empfinden, und er ließ den Arm wieder sinken.
    »Vor allem ist es mir gelungen, in Erfahrung zu bringen, dass Mr. Dalgarno sein Haus zu keiner Zeit verlassen hat, die ihn mit dem Tod von Nolan Baltimore in Verbindung bringen könnte.«
    Sie war verdutzt. »Wie?«, fragte sie ungläubig. »Wie kann das jemand wissen?«
    »Wenn man für Einbrecher Schmiere steht«, erklärte er trocken. »Man nennt sie Luchse. Mindestens einer von ihnen war zwischen Mitternacht und Morgendämmerung auf der Straße.«
    Sie atmete langsam aus, ihr Gesicht war sehr blass. »Vielen Dank. Haben Sie vielen Dank. Aber … aber was ist mit …«
    »Ich habe in London und in Liverpool, wo die Gesellschaft früher ihren Sitz hatte, umfassende Nachforschungen angestellt, Miss Harcus«, sagte er. »Und ich kann keinen Beweis für irgendeinen Betrug finden.«
    »Keinen …«, fing sie mit hoher Stimme an und schüttelte in einer Geste des Leugnens, des Unglaubens, sehr langsam den Kopf.
    »Ein bisschen Mehrgewinn hier und da«, räumte er ein. »Aber das passiert überall.« Er sprach souverän und merkte erst hinterher, dass er das aus seinem Erinnerungsschatz heraus gesagt hatte. Statt Vermutungen anzustellen, wusste er es. »Und alles im Namen der Gesellschaft, nicht in Mr. Dalgarnos. Er ist ein erfolgreicher Geschäftsmann und so rechtschaffen wie die meisten.«
    »Sind Sie sich sicher?«, flehte sie, staunend und voll von aufkommender Freude. »Ganz sicher, Mr. Monk?«
    »Ich bin mir sicher, dass es nichts gibt, was an seiner Ehre zweifeln lässt«, wiederholte er. »Sie können ruhig darauf vertrauen, dass sein Ruf nicht in Gefahr ist.«
    Mit weit aufgerissenen Augen zuckte sie zurück. Ein zufälliger Betrachter hätte den Unglauben in ihrer Miene leicht mit Wut verwechseln und annehmen können, er habe sie beleidigt. »Ruhig?«, sagte sie heftig. »Aber der Unfall! Was ist mit der Gefahr, dass sich das wiederholt?«
    »Der Unfall in Liverpool hatte nichts mit den Gleisen zu tun«, sagte er geduldig. »Es war ein Fehler des Lokführers, und es besteht die Möglichkeit, dass die Bremser ebenfalls …«
    Jetzt war sie wütend und riss die Hand zurück, fast so, als wollte sie den Menschen neben ihr schlagen. »Was – alle zusammen?«, fuhr sie ihn an. »Alle haben sich denselben Augenblick ausgesucht, um einen Fehler zu machen?«
    Er erwischte ihr Handgelenk. »Nein, das sollte es nicht heißen. Es sollte heißen, dass es einer von ihnen war, und die anderen gerieten möglicherweise in Panik und wussten nicht, wie sie reagieren sollten.«
    »Heißt dass, Baltimore und Söhne war unschuldig?«, wollte sie wissen. »Immer? Damals wie heute?«
    »Unschuldig an dem Unfall, ja.« Er hörte seine Stimme und merkte, dass er unsicher klang. Warum? Es gab nichts, was Nolan Baltimore mit dem Unfall in Liverpool oder dem Betrug, der Arrol Dundas ruiniert hatte, in Verbindung brachte. Es waren seine eigenen Schuldgefühle, die versuchten, jemandem, an dem ihm nichts lag, die Verantwortung zuzuschieben.
    Sie trat einen Schritt auf ihn zu. Jetzt wirkte sie fast erregt. Ihre Augen strahlten, ihre Wangen glühten, ihr Körper stand unter Spannung. Sie legte ihm die Hände auf die Brust und schloss die Finger fest um die Kanten seiner Jacke. »Gibt es einen Beweis für ihre Unschuld?«, fragte sie heiser. »Einen wirklichen Beweis? Etwas, was vor Gericht standhalten würde? Ich muss sicher sein. Es wurde schon einmal ein Unschuldiger verurteilt.«
    Monk spürte, wie sich alles in ihm zusammenzog und das Blut in seinen Adern pochte. Er packte ihre Handgelenke. »Woher wissen Sie das?«, fragte er mit zusammengebissenen Zähnen. Es war erschreckend, wie sehr sie zitterte.
    Ruckartig machte sie sich von ihm frei. Er spürte, dass sie ihm einen Knopf von der Jacke riss, aber das war unwichtig. Sie steigerte sich so hinein, dass ihre Augen und ihr Gesicht wie im Fieber brannten. Sie schaute ihn einen langen verzweifelten Augenblick an, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und rannte schier auf das Tor zu.
    Monk war sich bewusst, dass sie von mehreren Passanten angestarrt wurden, aber er kümmerte sich nicht

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