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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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stoßen können.«
    »Vielleicht war er auch betrunken und ist einfach gestürzt?«, sagte sie voller Hoffnung.
    »Hätte ich drei Wünsche frei, würde ich mir genau das wünschen«, sagte er heftig. »Die ganze Gegend ist wie ein Wespennest, von Coldbath bis rauf nach Pentonville und runter bis Smithfield. Es wird noch schlimmer kommen! Jetzt sitzen uns nur die Frauen und die Zuhälter im Nacken.« Er seufzte. »Ein oder zwei Tage, dann werden diese ach so korrekten Lackaffen, die für ein bisschen Spaß hierher kommen, erst richtig losjammern, weil sie's jetzt nicht mehr können, ohne an jeder Straßenecke über einen Polizisten zu stolpern. Wenn sie doch kommen, gibt's böses Blut, und wenn nicht, dann ist man auch verärgert! Egal, wir können nicht gewinnen.«
    Insgeheim hatte sie Mitleid mit ihm, holte noch etwas Tee und dann frischen Toast mit Schwarzer-Johannisbeer-Marmelade, den er mit Appetit aß, bevor er ihr dankte und in den noch hellen Tag trat, untröstlich, sich wieder seiner undankbaren Aufgabe widmen zu müssen.
    Am nächsten Tag waren die Zeitungen voll von Schlagzeilen über den schockierenden Tod des hochverehrten Eisenbahnbesitzers Nolan Baltimore, der unter merkwürdigen Umständen in der Leather Lane, einer Seitenstraße der Farringdon Road, aufgefunden worden war. Seine Familie war außer sich vor Kummer, und die ganze Gesellschaft war empört, dass ein anständiger Mann von tadellosem Ruf auf der Straße angegriffen wurde und unter solchen Umständen sterben musste. Es war ein landesweiter Skandal, und sein Sohn, Jarvis Baltimore, hatte geschworen, er werde dafür zu Felde ziehen, dass Kriminalität und Prostitution, die die Ehre der Hauptstadt befleckten und einen solchen feigen Mord möglich machten, ausgemerzt würden. Die Londoner Polizei hatte gegenüber den Bürgern des Landes ihre Pflichten vernachlässigt, und es war die Verantwortung jedes Einzelnen, dafür zu sorgen, dass das nicht so blieb.
    Hester sorgte sich weit mehr um die Tatsache, dass in der Nacht nach Constable Harts zweitem Besuch eine junge Frau von ihren Freundinnen ins Haus gebracht worden war, die so schlimme Schläge abbekommen hatte, dass sie getragen werden musste. Verängstigt und wütend hockten die drei Frauen in der Ecke und starrten vor sich hin.
    Die verletzte Frau lag zusammengekrümmt auf dem Tisch, sie hielt sich den Bauch und zitterte, Blut sickerte zwischen ihren Fingern hervor.
    Weiß wie eine Wand sah Margaret Hester an.
    »Gut«, sagte Hester ruhig. »Schick eine der Frauen zu Mr. Lockhart. Er soll so schnell wie möglich kommen.«
    Margaret nickte und wandte sich ab. Sie erklärte einer der wartenden Frauen, wo sie zuerst nach dem Arzt suchen sollte und dass sie nicht aufhören sollte, bis sie ihn gefunden hätte. Dann ging sie zum Herd, um Wasser zu holen, Essig, Brandy und saubere Tücher. Wie eine Blinde tastete sie nach den Gegenständen, weil sie zu erschüttert und zu entsetzt war, um zu sehen, was sie tat.
    Hester musste ihren Schreck über eine solche Verletzung überwinden und die Blutung stoppen. Sie ermahnte sich, an die Schlachtfelder zu denken, an die schwer verletzten Männer, die sie nach dem Sturm der leichten Brigade in Sewastopol und nach der Schlacht an der Alma auf die Wagen zu laden geholfen hatte, blutdurchtränkt, tot oder im Sterben liegend, mit abgerissenen Gliedmaßen, von Säbeln zerhackt oder von Schüssen durchsiebt.
    Ihnen hatte sie helfen können. Warum nicht dieser Frau? Hester war hier, um eine Arbeit zu tun, nicht, um ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, wie tief oder mitleidsvoll diese auch sein mochten. Die Frau brauchte Hilfe, kein Mitleid.
    »Lassen Sie los«, redete sie ihr gut zu. »Ich werde jetzt die Blutung stillen.« Bitte, Gott, dachte sie. Die Hände der Frau nehmend, spürte sie deren Anspannung und Furcht, die sich auf Hester übertrugen als steckte sie einen Augenblick lang in ihrer Haut. Sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach und kalt über ihren Körper rann.
    »Können Sie ihr helfen?«, fragte eine der Frauen hinter ihr. Sie war leise näher getreten, konnte trotz ihrer Angst nicht wegbleiben.
    »Ich glaube schon«, antwortete Hester. »Wie heißt sie?«
    »Fanny«, sagte die Frau heiser.
    Hester beugte sich über die Frau. »Fanny, lassen Sie mich einen Blick draufwerfen«, sagte sie fest. »Lassen Sie mich sehen.« Mit Kraft zog sie die Hände der Frau weg und erblickte den von scharlachrotem Blut durchtränkten Stoff ihres Kleides. Sie

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