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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sie nicht! Misstrauischer Kerl!«
    »Was haben Sie reingetan, Bessie?«, fragte Hester und verbarg ein Lächeln. Sie trat ein und schloss die Tür hinter sich. Sie tauchte in den vertrauten Raum mit den geschrubbten Dielen ein, die noch nach Lauge und Karbol rochen, dem leisen Hauch von Essig, der Hitze des Ofens, dem scharfen Geruch von Whiskey und dem würzigeren, frischeren Aroma von Kräutern. Automatisch ging ihr Blick zu dem Bett, in dem sie Fanny zurückgelassen hatte. Sie sah ihre dunklen zerzausten Haare und die Konturen ihres Körpers unter den Decken.
    »Es geht ihr gut, der armen Kleinen«, sagte Bessie mit vor Zorn grollender Stimme. »Krieg kein Wort aus ihr raus, wer ihr das angetan hat. Versteh das nicht. Wenn ich sie wär, würd ich ihn verfluchen, und zwar vor jedem, der's hören möchte – und auch vor denen, die's nicht hören wollten!« Sie schüttelte den Kopf.
    »Nur ein bisschen Süßholz«, beantwortete sie Hesters ursprüngliche Frage. »Und ein Tropfen Whiskey, um den Geschmack zu übertünchen. Eine Schande. Vergeudung von gutem Whiskey. Nicht dass es eine andere Sorte gäbe!« Sie grinste und entblößte ihre Zahnlücken.
    »Haben Sie ihn weggeschüttet?«, fragte Hester besorgt.
    Bessy sah sie von der Seite an. »Meine Güte, na klar! Was denken Sie! Möchte doch niemandem kalten Tee anbieten, oder?« Sie erwiderte Hesters Blick mit vorgeblicher Unschuld, und Hester konnte nicht anders, als zumindest mit halbem Herzen zu wünschen, Jessop hätte ihn getrunken. Bessie würde ihm doch sicher nichts Schlimmeres antun als ein vorübergehendes Unbehagen oder vielleicht ein wenig Übelkeit. Oder?
    Sie ging hinüber, um einen Blick auf Fanny zu werfen, die immer noch Angst und schlimme Schmerzen hatte. Es dauerte eine halbe Stunde, die Verbände abzunehmen, um nachzuschauen, ob sich die Wunde nicht infiziert hatte, sie wieder zu verbinden und Fanny zu überreden, ein wenig Brühe zu sich zu nehmen. Sie war eben fertig, als die Tür aufging und ein Schwall kühler, feuchter Luft hereinwehte. Sie drehte sich um und sah eine Frau unbestimmten Alters in der Tür stehen. Sie war einfach gekleidet, wie die Kammerzofe einer feinen Dame, und verzog vor Missbilligung das Gesicht. Sie rümpfte sogar die Nase, obwohl es schwer zu sagen war, ob wegen des Geruches nach Lauge und Karbol oder weil sie von heftigem Widerwillen erfüllt war.
    »Ja?«, fragte Hester. »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Ist dies ein … Haus, wo Sie verletzte Frauen aufnehmen, die … die …« Sie hielt inne, offensichtlich konnte sie das Wort nicht aussprechen, das ihr auf der Zunge lag.
    »… Prostituierte sind«, vollendete Hester den Satz ein wenig schroff. »Ja. Sind Sie verletzt?«
    Die Frau lief scharlachrot an vor Beschämung, dann wurde ihr Gesicht blutleer und grau. Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging zur Tür hinaus, die immer noch offen stand.
    Bessie unterdrückte ein Lachen.
    Im nächsten Augenblick stand eine andere junge Frau in der Tür, die ein völlig anderes Bild bot. Sie wirkte insgesamt sehr hell, hatte dichtes flachsblondes Haar, blasse Wimpern und Augenbrauen, aber eine gesunde Farbe im Gesicht, dessen Züge zu flach waren, um hübsch zu sein, jedoch eine Offenheit und Ausgewogenheit ausstrahlten, die sie auf Anhieb sympathisch machten. Offensichtlich war sie nervös und darum bemüht, ihre starken Gefühle in den Griff zu bekommen, aber sie zeigte kein Anzeichen einer Verletzung oder körperlicher Schmerzen. Die Qualität ihrer Kleider, die, obwohl sie pechschwarz waren, erkennen ließen, dass sie eine beträchtliche Summe dafür ausgab, und ihr Gebaren – Kopf hoch aufgerichtet, offener Blick – verrieten jedoch, dass sie keine Frau von der Straße war. Hester wurde verlegen, als ihr durch den Kopf ging, dass die erste Frau womöglich ihr Dienstmädchen gewesen war, das gegen seinen ausdrücklichen Willen dort in der Tür gestanden hatte. Vielleicht hätte sie sich ihre Bemerkung verkneifen sollen.
    Sie stellte den Teller und den Löffel, mit dem sie Fanny gefüttert hatte, zur Seite und wandte sich der Besucherin zu. »Guten Abend. Kann ich Ihnen helfen?«
    »Sind Sie hier verantwortlich?«, fragte die junge Frau. Ihre Stimme war tief und ein wenig heiser, als koste es sie so viel Mühe, ihre Gefühle im Zaum zu halten, dass es ihr schier den Hals zuschnürte, aber ihre Aussprache war vollkommen.
    »Ja«, antwortete Hester. »Ich bin Hester Monk. Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich bin Livia

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