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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Freier?«, fragte Hester überrascht und mit wachsender Wut.
    »Nein!« Die Frau schauderte.
    »Weißt du doch nicht«, sagte die dritte Frau grimmig. »Fanny hat nicht gesagt, wer's war, Miss. Sie hat so viel Angst, sie sagt überhaupt nichts, aber es war bestimmt ein Kerl, den sie kennt, aber doch nicht ihr gewohnter Zuhälter, weil, wie Jenny sagte, der war stockbesoffen und hätte nicht mal 'ner Fliege was zu Leide tun können, geschweige denn einem Menschen.« Sie verzog das Gesicht. »Abgesehen davon wäre es ja wohl ziemlich blöd, die eigene Frau so zu schlagen, dass sie nicht mehr anschaffen kann. Gott noch mal! Es gibt zurzeit schon wenig genug zu tun, ohne dass man 'ner Frau auch noch den Bauch aufzuschlitzen braucht. Das kapiert doch der letzte Idiot!«
    »Wer sollte dann so was tun?«, fragte Hester, während Margaret am anderen Tisch heißes Wasser in eine Schüssel goss und kaltes nachschenkte, um die richtige Waschtemperatur zu erreichen. Karbol war bereits zur Hand.
    Lockhart rollte seine Ärmel noch weiter auf, ohne auf das Blut daran zu achten, und wusch sich. Hester tat es ihm gleich, und er reichte ihr das Handtuch.
    Margaret machte für alle Tee und brachte ihn heiß und sehr stark herüber. Hester war froh, sich endlich hinzusetzen, und erhob keine Einwände, als Lockhart die Schüssel wegtrug, um sie im Abfluss auszugießen.
    Fanny lag auf dem großen Tisch, ihr Kopf auf einem Kissen, das Gesicht aschfahl. Es war zu früh, sie woanders hinzulegen, nicht mal in ein Bett.
    »Wer tut so etwas?«, fragte Hester noch einmal und sah die Frauen an.
    »Weiß nich'«, antwortete die Erste. »Danke.« Sie nahm den Becher Tee von Margaret. »Gerade das macht uns Angst. Fanny ist ein gutes Mädchen. Sie nimmt nichts, was ihr nicht gehört. Sie tut, was man ihr sagt, das arme Huhn! Sie war wohl mal ziemlich anständig.« Sie senkte die Stimme. »Stubenmädchen oder so. Kam in Schwierigkeiten, und eh sie sich's versieht, sitzt sie auf der Straße. Redet nich' viel, aber ich wette, sie hat 'ne harte Zeit gehabt.«
    Lockhart kam mit der leeren Schüssel zurück und nahm seinen Tee.
    »Wenn ich den Kerl in die Hände bekäme, der ihr das angetan hat«, sagte die mittlere Frau. »Ich würde ihm sein … aufschlitzen, tut mir Leid, Miss, aber so isses.«
    »Halt den Mund, Ada!«, sagte ihre Gefährtin drohend. »Überall sind Polypen. Tauchen auf wie aus dem Nichts. Die armen Schweine kriegen's aber auch von allen Seiten ab. Die einen sagen, sie sollen uns wegschaffen. Die anderen sagen, sie sollen uns in Ruhe lassen, damit sie ihren Spaß haben können. Und die Ärmsten schwirren rum wie die Schmeißfliegen und sind sich dauernd gegenseitig im Weg.«
    »Ja! Und die arme kleine Fanny kriegt von einem verdammten Irren den Bauch aufgeschlitzt!«, erwiderte Ada mit verkniffener Miene und einer Stimme, die sich vor kaum kontrollierter Hysterie überschlug.
    Hester stritt nicht mit ihnen. Sie saß schweigend da und dachte nach, aber sie stellte keine Fragen mehr. Die drei Frauen dankten ihnen, verabschiedeten sich von Fanny, versprachen wiederzukommen und gingen dann in die Nacht hinaus.
    Nach einer Stunde sah Lockhart nach Fanny, der es sehr viel besser zu gehen schien, zumindest was ihre Angst betraf. Er half Hester und Margaret, sie zum nächsten Bett zu tragen und darauf zu legen. Dann versprach er, am nächsten Tag noch einmal hereinzuschauen, und verabschiedete sich.
    Hester schlug Margaret vor, eine Runde zu schlafen, während sie wach blieb, und sich dann abzuwechseln. Am Morgen würde Bessie Wellington kommen, um das Haus zu hüten und sauber zu machen. Sie war selbst einmal Prostituierte gewesen und hatte dann ein Bordell geführt, bis die wachsende Konkurrenz sie aus dem Geschäft gedrängt hatte. Jetzt war sie froh, einen warmen Raum zu haben, wo sie den Tag verbringen konnte. Sie war freundlich zu bettlägerigen Patientinnen und verlangte keine Bezahlung. Dabei war ihre Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten fast so viel wert wie ihre Arbeit.
    Als Hester am nächsten Abend zurückkehrte, kam Bessie ihr mit hochrotem Gesicht an der Tür entgegen. Aus ihrem zu einem unordentlichen Knoten hochgesteckten schwarzen Haar standen in alle Richtungen Strähnen ab. Sie platzte fast vor Entrüstung.
    »Dieser widerliche Jessop war schon wieder hier und wollte mehr Geld!«, sagte sie in einem Bühnenflüsterton, der noch auf dem halben Coldbath Square zu hören war. »Hab ihm 'ne Tasse Tee angeboten, und er wollte

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