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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hatte Rathbone ihre Aufmerksamkeit. Mit aufgerissenen Augen schüttelte der Richter langsam den Kopf, nicht abwehrend, sondern vor Überraschung.
    Fowler stand auf, und noch bevor ihn jemand zurechtwies, setzte er sich wieder.
    »Ganz recht«, sagte Rathbone, als der Lärm allmählich verebbte. »Ganz zu schweigen vom Tod seiner früheren Verlobten, die erst vor wenigen Wochen von seinem Sinneswandel erfuhr und unverwandt an ihren leidenschaftlichen Gefühlen für ihn festhielt. Ich nehme an, Miss Baltimore, dass Sie nichts von ihr wussten, auch wenn sie von Ihnen erfahren haben muss?«
    Hester schaute zu Dalgarno hinüber und sah die angespannte Verzweiflung in seiner Miene. Er musste mit ansehen, dass die Geschworenen ihn immer mehr verachteten. Eine Frau zu enttäuschen und fallen zu lassen war schließlich nicht strafbar, solange es kein Eheversprechen gab. Aber nicht immer hatte rationales Denken den Vorrang vor dem Gefühl. Er warf Rathbone einen hasserfüllten Blick zu, der, hätte Rathbone ihn gesehen, ihn zum Schweigen gebracht hätte.
    Livia sah aus, als hätte man sie geschlagen. Die Röte wich aus ihrem Gesicht, bis sie aschfahl war. Sie hielt die Luft an. »Michael hätte sie nicht umgebracht!«, keuchte sie. »Niemals!« Aber es klang mehr wie ein Flehen denn wie eine Versicherung.
    »Nein, Miss Baltimore«, stimmte Rathbone ihr laut und sehr deutlich zu. »Natürlich nicht. Er hatte keinen Grund, ihr etwas Schlimmes zu wünschen, sondern nur den Wunsch, dass sie ihn in Ruhe ließ, damit er sich einer passenderen Braut widmen konnte. Haben Sie sie jemals bei sich zu Hause gesehen, seit Mr. Dalgarno Ihnen den Hof machte?«
    Sie schüttelte den Kopf, Tränen standen ihr in den Augen.
    »Nein«, wiederholte Rathbone für sie. »Oder in der Öffentlichkeit, wo sie versuchte, Mr. Dalgarno in Verlegenheit zu bringen oder zu verfolgen?«
    »Nein«, flüsterte sie.
    »Sie wussten also wirklich nichts von ihrem Interesse an ihm?«
    »Nein … nichts.«
    »Vielen Dank, Miss Baltimore, das war alles, was ich Sie fragen wollte.«
    Fowler schüttelte den Kopf. »Das ist unerheblich, Euer Ehren. Wir jagen Geister. Alles, was mein geschätzter Kollege bewiesen hat, ist, dass Dalgarno sein Werben um eine relativ arme Frau aufgab, als eine reichere ihm Hoffnung auf Erfolg machte.«
    »Nein, Euer Ehren«, widersprach ihm Rathbone. »Ich beweise dem Gericht, dass Miss Harcus jeden Grund hatte, sich von einem Mann, den sie liebte und von dem sie ehrlich glaubte, er liebte sie auch, verzweifelt betrogen zu fühlen. Das wird, zusammen mit anderen Fakten, die ich mit Hilfe von Zeugenaussagen und Dokumenten untermauern werde, erklären, was am Abend ihres Todes geschah und warum. Und es wird zeigen, dass Mr. Dalgarno nichts damit zu tun hatte. Er ist nur schuldig, die Liebe einer Frau missbraucht zu haben, was, wie ich mit Bedauern feststellen muss, viele Männer tun und sich dann davonmachen. Solch ein Verhalten gilt als verachtenswert, aber nicht als Verbrechen.«
    »Dann tun Sie das, Sir Oliver«, befahl der Richter. »Sie haben noch einen weiten Weg vor sich.«
    »Ja, Euer Ehren«, sagte Rathbone gehorsam.
    Hester war überzeugt, dass er bluffte. Sie fror.
    »Ein Zeuge, wenn Sie so freundlich wären, Sir Oliver«, sagte der Richter klagend. »Lassen Sie uns fortfahren. Wir haben noch eine Stunde, bevor wir uns wieder vertagen müssen.«
    »Ja, Euer Ehren. Ich rufe Mr. Wilbur Garstang auf.«
    »Wir haben Mr. Garstangs Aussagen bereits gehört … in aller Ausführlichkeit!«, widersprach Fowler.
    »Alle Zeugen haben wir bereits in aller Ausführlichkeit gehört, einschließlich Sie selbst«, erwiderte der Richter. »Bitte beschränken Sie Ihre Unterbrechungen auf ein Minimum, Mr. Fowler. Sir Oliver, gibt es tatsächlich etwas, was Mr. Garstang tun kann, außer Zeit zu schinden?«
    »Ja, Euer Ehren, ich glaube schon«, antwortete Rathbone, obwohl im Kommentar des Richters mehr Wahrheit steckte, als er zugeben wollte.
    »Rufen Sie Wilbur Garstang herein«, sagte der Richter müde.
    Mr. Garstang stieg die Stufen hoch und wurde vom Richter belehrt, dass er immer noch unter Eid stand. Er war ein kleiner Mann mit einem Hang zum Nörgeln und Kritteln.
    »Ich habe Ihnen bereits gesagt, was ich beobachtet habe«, sagte er zu Rathbone und schaute über den Rand seiner goldgefassten Brille auf ihn hinunter.
    »In der Tat«, stimmte Rathbone ihm zu. »Aber ich möchte es in den Köpfen der Geschworenen neu verankern, und zwar mit einem

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