Tod eines Fremden
Bauweise von Eisenbahnen wissen wir schon mehr als nötig, womöglich sogar mehr, als wir wissen wollen.«
»Möglicherweise mehr, als uns lieb ist, Euer Ehren.« Rathbone lächelte ganz sanft. »Nicht, dass wir es nicht nötig hätten. Wir sind immer noch zu keinem klaren Abschluss gekommen.«
»Sie als Rechtsanwälte«, sagte der Richter trocken, »können doch jede Rechtsfolgerung herbeiargumentieren. Egal, fahren Sie fort, Sir Oliver, aber verschwenden Sie nicht unsere Zeit. Sollten Sie nur reden um des Redens willen, werde ich Mr.
Fowlers Einspruch stattgeben oder sogar selbst Einspruch erheben.«
Rathbone verbeugte sich lächelnd. »Ich werde mich bemühen, weder langweilig noch belanglos zu sein«, versprach er.
Der Richter blickte skeptisch drein.
Nachdem der Gutachter vorschriftsmäßig an seinen Eid erinnert worden war und seine beruflichen Qualifikationen noch einmal dargelegt hatte, trat Rathbone ihm gegenüber. »Mr. Whitney«, fing er an, »Sie haben uns schon erzählt, dass Sie die von Baltimore und Söhne ursprünglich geplante Eisenbahnstrecke von London nach Derby begutachtet haben sowie die, die dann tatsächlich gebaut wurde. Gibt es zwischen den beiden einen nennenswerten Unterschied bezüglich der Kosten?«
»Nein, Sir, keinen nennenswerten«, antwortete Mr. Whitney.
»Was bezeichnen Sie als nennenswert?«, fragte Rathbone.
Whitney dachte einen Moment nach. »Mehr als ein paar hundert Pfund«, führte er aus. »Keine tausend.«
»Eine Menge Geld«, fand Rathbone. »Genug, um mehrere durchschnittliche Einfamilienhäuser zu kaufen.«
Fowler erhob sich.
Der Richter winkte ihm zu, er sollte sich wieder setzen, und sah Rathbone an. »Wenn Sie zu einer Schlussfolgerung kommen wollen, Sir Oliver, sind Sie weiter vom Weg abgekommen als besagte Eisenbahnlinie. Sie täten besser daran, Ihre Rundreise zu erklären.«
Die Zuschauer kicherten. Zumindest wurde ihnen jetzt ein bisschen Unterhaltung geboten. Sie sahen es gerne, wenn Rathbone unter Druck gesetzt wurde; er gab ein besseres Opfer ab als der Angeklagte, der längst jegliches Mitleid verwirkt hatte.
Rathbone holte tief Luft und riss sich zusammen. Sich die Bemerkung des Richters zu Herzen nehmend, wandte er sich wieder dem Zeugenstand zu. »Mr. Whitney, wäre ein noch größerer Betrug als der hier zuvor erwähnte technisch möglich, einer über mehrere tausend Pfund, und zwar wieder durch das Umleiten einer geplanten Route?«
Whitney war überrascht. »Aber sicher. Diese Strecke hier war nur um wenig länger, lediglich einige hundert Meter. Man könnte viel mehr tun, um Geld herauszuschlagen.«
»Zum Beispiel?«, fragte Rathbone.
Whitney zuckte die Achseln. »Selbst Land kaufen, bevor die Strecke umgelenkt wird, und nachher zu einem höheren Preis wieder verkaufen«, antwortete er. »Mit viel Fantasie und den richtigen Kontakten gäbe es viele Möglichkeiten. Einen Abschnitt nehmen, der viele Bauarbeiten erfordert, Brücken, Straßenüberführungen, Tunnel oder lange Einschnitte, und einen Anteil von den Materialien abziehen – es gibt zahllose Möglichkeiten.«
»Euer Ehren!«, sagte Fowler laut. »Mein verehrter Kollege stellt nur unter Beweis, dass der Angeklagte nicht einmal ein besonders kompetenter Betrüger ist. Das ist keine Rechtfertigung.«
Gelächter im Saal. Man amüsierte sich unverhohlen.
Nachdem das Gelächter verebbt war, wandte sich Rathbone an Fowler. »Ich versuche zu beweisen, dass er den Mord nicht begangen hat«, sagte er höflich, aber unterschwellig verärgert. »Warum lassen Sie mich nicht einfach?«
»Es sind die Umstände, die Sie davon abhalten, nicht ich«, erwiderte Fowler und erntete lautes Gelächter.
»Ihre Umstände!«, fuhr Rathbone ihn an. »Meine erlauben es mir nicht nur, sie verpflichten mich geradezu.«
»Mr. Fowler!«, sagte der Richter mit klarer Stimme. »Sir Oliver hat Recht. Wenn Sie keine juristisch relevanten Einwände haben, lassen Sie Ihre Unterbrechungen, sonst sitzen wir noch bis in alle Ewigkeit hier!«
»Danke, Euer Ehren«, sagte Rathbone ironisch. Hester glaubte, er wollte in Wirklichkeit nur Zeit gewinnen, wusste aber nicht, für was. Auf wen oder was wartete er?
Rathbone sah zu Whitney auf. »Sie haben uns weitere Möglichkeiten aufgezeigt, wie man einen Betrug durchführen könnte. Haben Sie Kenntnis von einem solchen Betrug – ich meine, wissen Sie von einem bestimmten Vorkommnis?«
Whitney blickte leicht verwundert drein.
»Zum Beispiel«, half Rathbone ihm auf
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