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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hatte, warum. Sie konnte nichts entdecken, was anders war. Sie warf einen Blick zu Monk hinüber und sah in dessen Miene die gleiche Verwirrung.
    Rathbone schaute zu Garstang hinauf. »Mr. Garstang, Sie sahen sie vom Balkon stürzen. Sind Sie sicher, dass sie es war, die stürzte?«
    Einen Augenblick schwiegen alle ungläubig, dann wurde es laut: Geplapper, Empörung, Gelächter und Zorn wallten auf.
    Garstang sah ihn an, und Unglaube wurde abgelöst von einer schrecklichen Erinnerung.
    Die Stimmen im Raum verstummten. Selbst Fowler setzte sich wieder.
    Monk reckte sich vor.
    Hester saß mit geballten Fäusten da.
    »Ich sah ihr Gesicht …«, sagte Garstang heiser. »Ich sah ihr Gesicht, als sie fiel … weiß … war sie …« Er schauderte heftig. »Sie war zwischen Mord … und Tod.« Er bedeckte seine Augen mit beiden Händen.
    »Ich bitte um Verzeihung, Mr. Garstang«, sagte Rathbone sanft und mit einer Aufrichtigkeit, die sich im Saal ausbreitete wie Wärme. Einen Augenblick sprach er nur zu Garstang und nicht zum Gericht. »Aber Ihre Zeugenaussage ist der Schlüssel zu der ganzen schrecklich tragischen Wahrheit, und wir alle danken Ihnen für Ihren Mut, Sir. Sie haben heute einem Mann das Leben gerettet.«
    Fowler stand auf und drehte sich herum, als suchte er nach etwas, das nicht da war.
    Rathbone wandte sich zu ihm um und lächelte. »Ihr Zeuge, Mr. Fowler.«
    »Wozu?«, wollte Fowler wissen. »Er hat nichts Neues gesagt! Was, um alles in der Welt, spielt es für eine Rolle, dass er ihr Gesicht gesehen hat? Wir alle wissen, dass sie es war, die gefallen ist!« Er sah den Richter an. »Das ist absurd, Euer Ehren. Sir Oliver macht aus einer Tragödie eine Farce. Ob er sich rechtlich gesehen der Missachtung des Gerichts schuldig gemacht hat oder nicht, moralisch auf jeden Fall.«
    »Ich bin geneigt, Ihnen zuzustimmen«, sagte der Richter mit sichtlichem Zögern. »Sir Oliver, es ist Ihnen zweifellos gelungen, unsere Aufmerksamkeit zu fesseln, aber Sie haben nichts bewiesen. Ich kann Ihnen nicht erlauben, auf diese Weise fortzufahren. Wir haben die Öffentlichkeit in unseren Gerichten, damit sie sehen kann, dass Gerechtigkeit waltet, und nicht, um sie zu unterhalten. Ich erlaube Ihnen nicht, weiter der Versuchung nachzugeben, hier als Schauspieler aufzutreten, obwohl Sie in dieser Richtung offensichtlich Talent besitzen.«
    Im Gerichtssaal wurden Gemurmel und nervöses Lachen laut.
    Rathbone verbeugte sich in vorgetäuschter Reue. »Ich versichere Ihnen, Euer Ehren, ich werde sogleich zeigen, dass die Tatsache, dass Mr. Garstang ihr Gesicht sah, von größter Bedeutung ist.«
    »Stellen Sie ihre Identität in Frage?«, fragte der Richter verblüfft.
    »Nein, Euer Ehren. Dürfte ich meinen nächsten Zeugen aufrufen?«
    »Sie dürfen, aber diese Zeugenaussage sollte wichtig sein, sonst werde ich Sie der Missachtung des Gerichts bezichtigen, Sir Oliver.«
    »Das wird sie, Euer Ehren, vielen Dank. Ich rufe Reverend David Rider auf.«
    Hester hörte, wie Monk nach Luft schnappte. Margaret sah Hester und dann Monk fragend an. Hester zuckte hilflos die Achseln.
    Das Gericht beobachtete schweigend, wie der Vikar die Stufen zum Zeugenstand hinaufstieg und sich dabei am Handlauf festklammerte. Er sah müde aus, aber eher gefühlsmäßig erschöpft als von körperlicher Anstrengung. Er war blass, die Haut um die Augen herum aufgedunsen, und er erwiderte Rathbones Blick, als herrschte zwischen ihnen ein tiefes Verständnis, das nicht nur von bloßem Kummer, sondern von der überwältigenden Last geteilter Erkenntnis herrührte.
    Rider nannte seinen Namen, seinen Beruf und seinen Wohnort am Stadtrand von Liverpool und wurde vereidigt.
    »Warum sind Sie hier, Mr. Rider?«, fragte Rathbone ihn ernst.
    Rider sprach sehr leise. »Ich habe mit meinem Gewissen gerungen, seit Mr. Monk mich vor einer Woche aufgesucht hat, und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich verpflichtet bin zu sagen, was ich weiß und was Katrina Harcus betrifft. Meine Pflicht den Lebenden gegenüber ist zu groß, um sie um der Toten willen zu leugnen.«
    Im Gerichtssaal war leises Rascheln zu hören, dann wurde es absolut still.
    Hester schaute zu Dalgarno hinüber, ebenso wie mehrere Geschworene, doch sie sahen nichts als völlige Verwirrung.
    »Sie kannten Katrina Harcus?«, fragte Rathbone.
    »Seit ihrer Geburt.«
    Fowler rutschte unbehaglich auf seinem Platz hin und her, aber er unterbrach ihn nicht.
    »Dann nehme ich an, dass Sie auch ihre Mutter

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