Tod eines Fremden
er eben geritten war. »Hätten Sie den Durchstich nicht dort machen können?«, fragte er. »Dann hätten Sie kein Viadukt bauen müssen.«
»Klar, hätten wir«, sagte Contrairy abschätzig. »Kostet aber! Zu hoch für einen direkten Durchstich, und Tunnel sind mit das Teuerste, was es gibt. Werfen Sie 'nen Blick auf Ihre Karte. Sehen Sie sich die Höhe an! Und Granit! Braucht Zeit und so.«
Monk drehte sich um und schaute den Hügel hinauf. Er zog die Karte aus der Tasche und sah sich die Höhenangabe an, dann wandte er den Blick wieder auf die Kuppe. Etwas blitzte in seiner Erinnerung auf und war verschwunden, bevor er es greifen konnte, aber es war ein Moment des Unbehagens, aber nichts, was er erklären konnte. Er sollte die alternativen Streckenführungen überprüfen, sich ansehen, wer welches Land besaß, wo die persönlichen Interessen lagen, die Kosten veranschlagen, wenn man den Hügel durchbohrt und untertunnelt hätte, und sie mit denen für den kleinen Durchstich und den Viadukt und den Ankauf des zusätzlichen Landes und der Schienenstrecke vergleichen. Es war eine lange, ermüdende Aufgabe, aber wenn es eine Lösung gab, dann lag sie in den Zahlen. Das Metier hatte er einst beherrscht. Es war sein tägliches Geschäft gewesen – seines und Dundas'. Das war ein Gedanke, den er lieber nicht gedacht hätte, aber er wollte einfach nicht verschwinden.
Er dankte dem Streckenarbeiter, stieg wieder auf sein Pferd und ritt langsam und in Gedanken versunken den Hügel hinauf. Er hatte sich die Messtischblätter und Berichte und den Kostenvoranschlag von Baltimore und Söhne für die Verlegung der Strecke angesehen. Auf dem Papier war sie vernünftig erschienen. Die Investoren hatten sie akzeptiert. Das Land für die neue Strecke war zum Teil teuer, aber das Land für die alte Streckenführung wäre auch teuer gewesen. Es waren die versteckten Kosten, die den Unterschied ausmachten: die Bestechungsgelder, damit das eine oder das andere getan wurde, was gekauft wurde und was nicht. Dort konnte irgendwo Betrug verborgen sein.
Es war warm hier, auch wenn eine leichte Brise durch das Gras fuhr. Ein Kaninchen sprang auf, sah sich um und hoppelte dann mit weiß aufblitzendem Schwanz zwanzig Meter weiter, bis es in einem Erdloch verschwand.
Es dauerte einen Augenblick, bis ihm das etwas sagte. Er durchforschte seine Erinnerung. Es war das Kaninchen. Es bedeutete etwas. Er war auf einem anderen Hügel in der Sonne, aber es war kälter, der Wind wehte aus Osten, Wolken jagten über den Himmel, und trotz des hellen Sonnenscheins herrschte ein Gefühl der Dunkelheit.
Er erinnerte sich, dass er ein Kaninchen beobachtet hatte, das in der Sonne saß und mit der Nase zuckte und dann Angst bekam und davonsprang und in einem Loch verschwand.
Er hatte ihm mit immer größer werdendem Entsetzen hinterhergesehen!
Warum? Was konnte gewöhnlicher sein als ein Kaninchen im Gras, das weglief und in einem seiner Löcher verschwand, in dem riesigen Kaninchenbau, der den Hügel durchzog? Zweifellos würde es hundert Meter weiter wieder herauskommen.
Aber: Wenn ein Kaninchen nur mit bloßen Pfoten ein Tunnelsystem durch den Hügel graben konnte, hätte ein Heer von Streckenarbeitern mit Sprengstoff keine Mühe, einen Tunnel für einen Zug zu graben. Der Hügel konnte unmöglich aus Granit sein! Das Gutachten hatte gelogen!
Jetzt erinnerte er sich wieder an den Schock, als es ihm klar wurde, an das Gaslicht, das über das Papier flackerte, als er es auf dem Tisch in seinem Hotelzimmer auseinander faltete und die Legende der Karte las. Aber sosehr er sich auch bemühte, er konnte sich nicht darauf besinnen, was da noch gewesen war. Und so saß er da, Sonne und Wind im Gesicht, hielt die Augen geschlossen und versuchte, die Vergangenheit heraufzubeschwören.
Natürlich war bei einigem Land mehr Gewinn zu machen als bei anderem. Aber die Investoren hatten das doch sicher überprüft? Sie hatten Fachleute, die das wussten. Es musste noch etwas geben, was sehr viel klüger, sehr viel spitzfindiger war als diese plumpe Lüge, der Hügel wäre aus Granit statt aus Lehm, Kreide oder beidem oder aus was auch immer.
Am Rand seines Bewusstseins war stets der wirre Schrecken vor etwas Dunklem, Unklarem und Gewalttätigem, die Erinnerung an Stahl, das Kreischen von reißendem Metall, Funken in der Nacht, dann Flammen, und alles durchzogen von einer Angst, die so schrecklich war, dass sie ihm den Magen zusammenzog und die Muskeln sich
Weitere Kostenlose Bücher