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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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damals her gewesen war. Trotz der Angst, die sein Denken beherrschte, musste er über seine Ignoranz lächeln. Er hatte gedacht, er wollte eine sanfte, anschmiegsame Frau, die sich um seine körperlichen Bedürfnisse kümmerte, die ihm das Zuhause gab, auf dessen Basis er seinen Erfolg baute, und seinem Ehrgeiz nicht im Wege stand.
    Ob er das wollte oder nicht, Hester mischte sich immer ein; sie nahm Anteil an allen seinen Lebensbereichen. Ihr Mut und ihre Klugheit machten es ihm unmöglich, sie auszuschließen. Sie forderte seine Gefühle ein. Sie leistete seinen Träumen Gesellschaft, ebenso wie seinem Körper und Geist. Seine Vorstellung, wie Frauen zu sein hatten, war erschreckend unvollständig gewesen. Wenigstens hatte er sich nicht an eine andere Frau gebunden und damit sowohl sich selbst als auch die Frau verletzt.
    Er zwang sich zurück in die Gegenwart und schaute auf das Gelände vor sich. Überall waren Arbeiter, zu Hunderten wimmelten sie in der Ferne herum. Etwa achthundert Meter vor dem Viadukt war ein Bergkamm, in den sie gerade einen Durchstich machten. Er sah die blasse Schramme in der Felswand und den Abhang, wo Männer die Schubkarrenladungen Erde und Steine zu einem Hügel aufschütteten und dabei mit großem Geschick auf den schmalen Bohlen balancierten. Monk wusste, dass das eine der gefährlichsten Arbeiten war. Rutschte man aus, konnte man stürzen, und die ganze schwere Ladung donnerte auf einen drauf.
    Sie waren fast durch. Es war gar nicht so hoch, dass man an dieser Stelle einen Tunnel gebraucht hätte. Er erinnerte sich an Mauerwerk, an das Graben und das Abstützen des Tunnels. Der Geruch nach Lehm war in seiner Nase, als wäre er erst vor wenigen Minuten ins Freie getreten, und er spürte fast das stete Tropfen von oben, die nassen Spritzer auf Kopf und Schultern. Er wusste, dass es eine Knochenarbeit war. Die Männer arbeiteten manchmal sechsunddreißig Stunden am Stück und hatten nur ein paar Minuten, um rasch etwas zu essen, dann wurden sie von der nächsten Schicht abgelöst, die ebenfalls Tag und Nacht arbeitete.
    Er gab seinem Pferd die Zügel und ritt vorsichtig den Abhang hinunter, folgte einem Pfad, bis er nur etwa hundert Meter von den Gleisen entfernt in der Ebene herauskam. Jetzt drangen die Geräusche von allen Seiten auf ihn ein, das dumpfe Schlagen von Spitzhacken, die auf Fels und Erde trafen, das Rattern von Rädern auf hölzernen Laufschienen den Durchstich hinauf, das Klingen von Hämmern auf Stahl, Stimmen.
    Der Mann, der ihm am nächsten stand, blickte auf und streckte, die Schaufel einen Augenblick müßig in der Hand, langsam den Rücken durch. Sein Gesicht war mit Staub verkrustet, durch den sich der Schweiß kleine Bäche bahnte. Er betrachtete Monks lässige Kleidung und seine gut geschnittenen Stiefel und das Pferd, das hinter ihm stand. »Gehören Sie zu den Leuten des Landvermessers?«, fragte er. »Der ist noch nicht da. Sie sind 'nen Tag zu früh.« Er wandte sich halb um. »Eh! Edge'og!«, rief er einem kleinen Mann mit breiten Schultern und rötlichem Haar zu. »Biste sicher, dass ihr an der richtigen Stelle grabt?«
    Ein halbes Dutzend Männer, die weiter weg standen, brachen in schallendes Gelächter aus, dann machten sie sich wieder ans Graben und Schaufeln.
    Hedgehog verzog das Gesicht. »Nein, Con, wir sollten besser noch mal ganz von vorn anfangen und uns durch den verdammt großen Hügel da drüben graben!«, antwortete er.
    »Drei Wochen vielleicht«, sagte Con zu Monk. »Wenn's das ist, was Sie wissen wollen. Hab Sie hier noch nie gesehen. Sie kommen von London?«
    Offensichtlich gingen sie davon aus, dass er aus der Zentrale von Baltimore und Söhne kam.
    »Wo ist Ihr Vorarbeiter?«, fragte Monk.
    »Ich bin der Vorarbeiter, Contrairy York«, antwortete der Mann. »Wie gesagt, drei Wochen. Geht nicht schneller.«
    »Das sehe ich.« Monk schielte die Trasse entlang. Für das letzte Stück des Viadukts würden sie mindestens noch zwei weitere Wochen brauchen, und dann mussten Schwellen gelegt und die Gleise verlegt und verschraubt werden. Der größte Teil der Strecke sollte eine doppelte Gleisführung bekommen, durch den Durchstich und über den Viadukt nur einfache Gleise. Die Zeiten, in denen die Züge dieses Stück passierten, mussten genau abgestimmt sein. Man baute keine so lange Strecke, um dann nur eine Lok auf einmal fahren zu lassen.
    Er hatte sich das Messtischblatt angesehen. Der kürzeste Verlauf führte durch den Hügel, über den

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