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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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war.
    Aber es ging nicht um moralische oder praktische Erwägungen. Der Fortschritt war unaufhaltsam.
    Er versuchte, seiner Erinnerung weitere Einzelheiten zu entreißen, keine Emotionen, sondern Fakten. Worüber hatten sie sich unterhalten? Was wusste er im Einzelnen über die Landkäufe? Worin lag der Betrug? Wedgewood hatte gesagt, es gebe kein Land, auf dem man keine Eisenbahnlinie verlegen könnte, es sei nur eine Frage der Kosten. Und Streckenarbeiter wussten, wie man Schienen notfalls auf Pontons verlegte und damit Sumpfland und alle möglichen schwierigen Untergründe überqueren konnte. Sie bohrten Tunnel durch Schiefer, Lehm, Kreide oder Sandstein, was auch immer. Hauptsache, man konnte es bezahlen. Und wieder war er beim Geld.
    Das ganze Land musste gekauft werden. Wie kam das Vorstandsmitglied der Gesellschaft, das entschied, wie die Route verlief, nur so leicht an Geld? Wurde ein Schienenverlauf von einer Stelle zur anderen umgelenkt und das Vorstandsmitglied von dem Landbesitzer bestochen, damit sein Besitz unangetastet blieb? Oder wurde ansonsten wertloses Land zu einem überhöhten Preis verkauft und der Gewinn mit dem Vorstandsmitglied geteilt, das ihn direkt in die eigene Tasche schob und sowohl die Firma als auch die Investoren betrog?
    Offensichtlich ja, aber war es so viel, dass es, zumindest für eine Weile, übersehen wurde? Was für eine Anmaßung, zu glauben, man würde ihnen nicht irgendwann dahinter kommen.
    War Dundas anmaßend gewesen? Monk versuchte noch einmal, ein Gefühl für den Mann heraufzubeschwören, den er einst so gut gekannt hatte, und je mehr er sich bemühte, desto rascher entschwand ihm jegliche klare Erinnerung. Es war, als könnte er sie nur am Rand seines Gesichtsfeldes wahrnehmen, sobald er sie genauer betrachten wollte, verschwand sie.
    Der Wind strich nun wärmer über das Gras, und weit über sich hörte er durchdringend süß die Lerchen singen. Zeitlos. So musste es auch gewesen sein, als Züge nur in der Fantasie existierten, als Wellingtons oder Marlboroughs Armeen sich versammelten, um den Kanal zu überqueren, oder zu der Zeit, als Heinrich VIII. versuchte, zum Camp du Drap d'Or, dem Goldbrokatfeld, zu gelangen. Schade, dass er sich nicht einfach im Sattel umdrehen konnte, um einen deutlicheren Blick auf Dundas zu erhaschen.
    Die Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht brachten ein Gefühl der Zuneigung und des Wohlbefindens zurück, aber mehr als das war es nicht, nur die Erinnerung daran, sich mit jemandem vollkommen wohl zu fühlen und über dieselben Witze zu lachen, eine Art vergangenes Glück, das vorbei war, denn Dun-das war tot. Er war im Gefängnis gestorben, allein und in Ungnade gefallen, sein Leben ruiniert, seine Frau so isoliert, dass sie es nicht mehr in der Stadt, die ihre Heimat gewesen war, aushielt.
    Hatte er Kinder gehabt? Monk glaubte nicht. Er konnte sich nicht an Kinder erinnern. In gewisser Weise war Monk selbst wie ein Sohn für ihn gewesen, der junge Mann, den er aufgezogen und unterrichtet hatte, dem er sein Wissen weitergegeben hatte, seine Liebe zu schönen Dingen, Kunst und Vergnügungen, guten Büchern, gutem Essen, gutem Wein, guter Kleidung. Monk erinnerte sich an einen wunderschönen, wie Seide schimmernden Holztisch mit Einlegearbeiten von einer Farbe wie Licht, das durch ein Glas Brandy scheint.
    Plötzlich sah er sich selbst, jünger und schmalschultriger als jetzt, wie er bei einem Schneider vor dem Spiegel stand, und hinter ihm Dundas. So deutlich, dass er die vielen kleinen Fältchen rund um die Augen erkennen konnte, die verrieten, dass er sich viel im Freien aufhielt und gerne lachte.
    »Um Himmels willen, stehen Sie gerade!«, hatte er gesagt. »Und nehmen Sie eine andere Krawatte! Binden Sie sie richtig. Sie sehen ja aus wie ein Geck!«
    Monk hatte sich elend gefühlt, denn er hatte sie ziemlich elegant gefunden.
    Später wusste er, dass Dundas Recht hatte. In Geschmacks-fragen hatte er immer Recht. Monk hatte seinen Rat aufgesogen wie Löschpapier und stellte eine unscharfe, aber erkennbare Kopie seines Mentors dar.
    Was war mit Dundas' Geld geschehen? Wenn er des Betrugs für schuldig befunden worden war, musste das Geld irgendwo geblieben sein. Hatte er es ausgegeben, etwa für feine Kleider, Bilder, Wein? Oder war es konfisziert worden? Monk hatte keine Ahnung.
    Er erklomm die Kuppe, und das Panorama, das sich vor ihm ausbreitete, raubte ihm den Atem. Felder und Moorland erstreckten sich bis zu den sieben oder acht

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