Tod eines Fremden
Verbrechen.
Den Superintendent zu fragen, der die Untersuchung leitete, würde nichts bringen, er würde sich über Monks Einmischung nur ärgern. Der arme Mann wurde von der Obrigkeit und den empörten Bürgern, die sich moralisch verpflichtet fühlten zu protestieren, mehr als genug unter Druck gesetzt. Egal, was er tat, es würde ihnen nicht gefallen. Die einzig akzeptable Lösung wäre gewesen, dass sich die ganze Angelegenheit in Luft auflöste, ohne Spuren zu hinterlassen, und das war unmöglich. Wenn sie sich nicht beschwerten, konnte es leicht den Anschein haben, sie würden Prostitution und den Mord an einem angesehenen Bürger billigen; wenn sie sich beschwerten, lenkten sie noch mehr Aufmerksamkeit auf Gepflogenheiten, denen sie – ohne es zuzugeben – alle nur zu gerne nachgingen.
Es hatte auch wenig Sinn, mit den Polizisten zu sprechen, die ihre Runde machten und gezwungen waren, die Leute in der Gegend um die Farringdon Road gegen ihren Willen zu schützen. Wenn sie wüssten, wer Nolan Baltimore umgebracht hatte, wäre der Mörder längst verhaftet und die Angelegenheit abgeschlossen worden.
Was Monk interessierte, waren zum einen die Wege, die Nolan Baltimore in der Nacht seines Todes zurückgelegt hatte, und zum anderen, was genau Michael Dalgarno darüber gewusst hatte und wo er sich aufgehalten hatte. Wie waren sie auseinander gegangen? Welche Rolle spielte Jarvis Baltimore?
Wer konnte das wissen? Die Bewohner des Hauses Baltimore, Familie und Bedienstete, möglicherweise die Polizisten, die in der Nähe des Hauses oder, falls keiner der Männer an dem Abend nach Hause gegangen war, der Büros Streife gingen, Straßenhändler, Menschen, deren tägliche Runde sie durch diese Gegend führte.
Er fing da an, wo er am leichtesten und wahrscheinlichsten etwas Brauchbares erfahren würde. Sie saß auf einer klapprigen Kiste, die neben der Straßenecke aufgestellt war, einen Schal um den Kopf und eine Tonpfeife fest zwischen den wenigen Zähnen. Verschiedene Sorten Hustenbonbons und Weinbrandtrüffel waren in Schalen und auf Zinntellern um sie herum aufgebaut, und ein Packen quadratischer Blätter wurde von einem Stein beschwert.
»Schön'n Tag, Sir«, sagte sie in einem weichen irischen Akzent. »Was kann ich Ihnen anbieten?«
Er räusperte sich. »Hustenbonbons, wenn Sie so nett wären«, sagte er lächelnd. »Für drei Pence, denke ich.« Er fischte ein Dreipencestück aus seiner Tasche und hielt es ihr hin.
Sie nahm es und schöpfte mit einem Weißblechlöffel eine Portion klebriger Bonbons, die sie auf ein Stück Papier häufte, das sie dann zu einer kleinen Tüte drehte und ihm reichte. Sie zog fest an der Pfeife, aber die schien ausgegangen zu sein. Sie griff in ihre Tasche, aber er war schneller und hielt ihr ein Päckchen Streichhölzer hin.
»Sie sind ein Gentleman«, sagte sie, griff danach, holte ein Hölzchen heraus, zündete es an, hielt die Flamme in den Pfeifenkopf und zog kräftig. Die Pfeife begann zu qualmen, und sie paffte zufrieden. Die Streichhölzer wollte sie ihm zurückgeben.
»Behalten Sie sie nur«, antwortete er großzügig.
Sie erwiderte nichts, aber ihre hellen, halb hinter den Falten der wettergegerbten Haut verborgenen Augen blitzten auf vor Vergnügen. »Und was wollen Sie?«, fragte sie unverhohlen.
Er schenkte ihr ein breites Lächeln. Er besaß Charme, wenn er wollte. »Sie wissen ja, dass Mr. Baltimore vor ein paar Tagen in der Leather Lane ermordet wurde«, sagte er offen. Es wäre unsinnig, sie für dumm verkaufen zu wollen. Wer in ihrem Alter noch auf der Straße arbeitete, ließ sich nichts vormachen.
»Weiß das nicht ganz London?«, antwortete sie. Ihre Miene verriet ihre Geringschätzung, wahrscheinlich weniger für seine Moral als für seine Heuchelei.
»Sie haben ihn kommen und gehen sehen«, fuhr er fort und nickte in Richtung des Baltimore-Hauses die Straße runter.
»Natürlich, der Teufel soll ihn holen«, meinte sie. »Hat nicht mal an 'nem kalten Tag 'nen halben Penny rausgerückt, der nicht!« Vielleicht wollte sie Monk damit wissen lassen, dass sie kein Interesse hatte, bei der Suche nach seinem Mörder behilflich zu sein. Ob es ehrlich gemeint war oder nur ein Trick, um für ihre weitere Hilfe bezahlt zu werden, spielte keine Rolle; so oder so, wenn sie ihm irgendetwas erzählte, würde er sie gerne dafür belohnen.
»Ich halte es für möglich, dass er von jemandem ermordet wurde, der ihn gekannt hat«, gab er zu. »Haben Sie ihn an
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