Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
und benutzte ein Dialektwort, was der Menschenmenge sympathisch war. Monk hatte damals nicht erkannt, wie viel Effekthascherei er betrieb, aber inzwischen hatte er vielen anderen Verfahren beigewohnt und erkannte, dass der Ankläger wie ein schlechter Schauspieler gewesen war.
    Hing alles vom Können der Anwälte ab? Was, wenn Dundas jemanden wie Oliver Rathbone gehabt hätte? Wäre es am Ende vielleicht anders ausgegangen?
    Er las den Bericht über die Zeugenvernehmung: zuerst andere Bankangestellte, die jedes Wissen über ungesetzliche Geschäfte abstritten, eilig ihre Hände davon freiwuschen und laut ihre Unschuld beteuerten. Er erinnerte sich an ihre gut geschnittenen Röcke und Hemden mit engen Kragen, ihre sauberen, rosigen Gesichter und korrekten Stimmen. Sie hatten ängstlich ausgesehen, als sei Schuld ansteckend. Monk spürte, dass seine eigene Wut sich in ihm zusammenballte, immer noch eindringlich und real und nicht wie etwas vor sechzehn Jahren Abgeschlossenes.
    Als Nächstes kamen die Investoren an die Reihe, die Geld verloren hatten oder zumindest allmählich begriffen, dass sie nicht den erhofften Gewinn machen würden. Ausgesprochene Unkenntnis mündete in offenen Zorn, als sie sahen, dass ihr Finanzgeschick untergraben worden war. Da man hinterher immer klüger war, schrien sie nun am lautesten, voller Tücke in ihrer schlechten Meinung über Dundas' Charakter. Es hatte Monk wütend gemacht, dass er ihnen ohnmächtig zuhören musste, ohne seine Ansicht vertreten und Dundas verteidigen zu können. Es war ihm nicht erlaubt, über die Habgier dieser Männer zu sprechen, darüber, wie bereitwillig sie sich von der neuen Route hatten überzeugen lassen – ein Kauf mehr oder weniger, wenn's nur billiger wurde.
    Er hätte gerne ausgesagt. Und jetzt spürte er seine Wut, als wäre es gestern gewesen. Wie hatte er den Anwalt der Verteidigung unter Druck gesetzt, damit der ihn sprechen ließ. Und jedes Mal war es ihm verweigert worden.
    »Beeinflussung der Geschworenen«, hatte man ihm gesagt. »Sie können Baltimore nicht angreifen, sonst machen Sie es nur schlimmer. Seine Familie hat Geld in jedem größeren Unternehmen in Lancashire. Er ist eine Säule der Gesellschaft. Machen Sie sich ihn zum Feind, und Sie bringen das halbe Land gegen sich auf.« So war es weitergegangen, bis seine Zeugenaussage so verwässert war, dass sie im Grunde nutzlos war. Er trat in den Ring wie ein Boxer, dem man einen Arm auf den Rücken gebunden hat und der Schläge einstecken muss, die er nicht erwidern kann.
    Der Grundbesitzer hatte ihn überrascht. Er hatte Empörung und Eigennutz erwartet, doch stattdessen war der Mann bestürzt gewesen, hatte vom Gefeilsche beim Verkauf berichtet und erklärt, wie man versucht hatte, die Strecke umzuleiten, um das eine oder andere Stück Land nicht zu teilen. Aber er zeigte weder Groll, noch war er verzweifelt bemüht, seinen Ruf zu wahren.
    Große Summen hatten den Besitzer gewechselt, doch trotz aller Versuche des Anklägers, sie unredlich oder maßlos erscheinen zu lassen, entsprachen sie im Großen und Ganzen genau den Erwartungen.
    Wie auch immer, als alle Beträge in die Beweisführung eingegangen waren, hörte Monk in dieser akribischen Auflistung das Totengeläut der Verteidigung. Selbst in seiner fragmentierten Erinnerung wusste er jetzt, wie das Urteil ausfallen würde, nicht weil es wahr war, sondern weil zu viele der Kaufverhandlungen von Dundas geführt worden waren, zu viele Verträge seine Unterschrift trugen, zu viel Geld auf seinem Konto war. Er konnte es leugnen, aber er konnte es nicht widerlegen. Er handelte im Auftrag anderer. Das war sein Beruf.
    Andere Namen waren jedoch nicht schriftlich festgehalten. Er hatte ihnen vertraut. Sie behaupteten, sie hätten ihm vertraut. Wer hatte wen betrogen?
    Natürlich kannte Monk das Urteil – schuldig.
    Aber er musste Einzelheiten erfahren, wie man es angestellt hatte, dass der Betrug bis zum letzten Augenblick nicht aufgeflogen war. Wie hatte Dundas erwartet, damit durchzukommen?
    Er fand eine Skizze von Nolan Baltimore bei seiner Zeugenaussage. Monk betrachtete fasziniert die wenigen Linien. Ein hässliches Gesicht war es, aber ungeheuer vital, die schweren Knochen verrieten Stärke und der Schwung seiner Lippen Appetit. Es war intelligent, besaß aber keine Sensibilität und wenig Scharfsinn oder Humor. Schon die Zeichnung löste Widerwillen aus. Monk konnte sich nicht erinnern, den Mann je lebend gesehen zu haben. Er war

Weitere Kostenlose Bücher