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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hier führen kann, muss gewiss die Ohren offen halten. Sie wären nicht so erfolgreich, wenn Sie nicht …« Sie stockte. Ihm schien so unwohl zu sein, dass sie fürchtete, er habe tatsächlich körperliche Schmerzen. Auf seiner Haut glänzte der Schweiß, und seine Knöchel traten vor lauter Anspannung weiß hervor.
    »… wenn Sie nicht ausgezeichnet über die Gegend und alles, was sich hier abspielt, Bescheid wüssten«, fuhr sie fort. Der Mann, der ihr gegenübersaß, war dermaßen angespannt, dass sie plötzlich nur noch wegwollte. Die Verzweiflung in seiner Miene wollte nicht so recht zu seiner Verschlagenheit passen. Er wirkte, als wäre er einer Sicherheit beraubt worden, die für ihn lange selbstverständlich gewesen war, sodass er sich seiner neuen Blöße noch nicht richtig bewusst war und keine Zeit gehabt hatte, sich zu schützen oder damit umgehen zu lernen.
    »Ja!«, sagte er barsch. »Natürlich weiß ich das!« Er war jetzt in der Defensive, als müsste er sie überzeugen. »Ich werde darüber nachdenken. Wir müssen wieder zum Normalzustand zurückkehren. Wenn ich etwas über diesen Baltimore erfahre, werde ich zusehen, ob wir nicht … etwas arrangieren können.« Er breitete die Hände aus und wies auf die Papierstapel. »Jetzt muss ich mich um das hier kümmern. Ich habe keine Zeit mehr, um … um zu reden … wo es nichts zu reden gibt.«
    Sie erhob sich. »Vielen Dank, Mr. Robinson. Und Sie werden nicht vergessen, Ihrem Partner gegenüber zu erwähnen, ob es nicht ein Haus zu mieten gäbe … sehr preisgünstig, in unser aller Interesse?«
    Er zuckte wieder hoch. »Ich habe keinen …«, setzte er an, und dann glättete sich seine Miene zu einem Lächeln. Es war ein gespenstisches Lächeln, mehr wie ein Zähnefletschen. »Ich sag's ihm. Ha, ha!« Er lachte heftig. »Mal sehen, was er dazu sagt!«
    Sie verabschiedete sich und wurde erneut von dem Mann in dem zu großen dunklen Anzug durch die Korridore geführt. Dann stand sie wieder in der Gasse, die in die Portpool Lane mündete. Im Nebel wirkte die einsame Wandlaterne wie hinter einem Schleier. Hester stand ein paar Augenblicke still, um sich an die kühle Luft und den Geruch von der Brauerei zu gewöhnen, die sich gewaltig gegen den Himmel erhob und genau wie das Coldbath-Gefängnis am Platz mit seinem massiven Schatten alle anderen Umrisse auslöschte. Dann machte sie sich auf den Weg, wobei sie sich, um nicht aufzufallen, nah an den Mauern hielt und hoffte, nicht auf jemanden zu treten, der auf den Pflastersteinen des Gehwegs schlief oder in einem Tür-weg kauerte.
    Nachdem sie mit Squeaky Robinson gesprochen und seine Reaktionen gesehen hatte, war sie sich fast sicher, dass er das Bordell führte, wo junge Frauen wie Fanny und Alice arbeiten mussten, um ihre Schulden an den Wucherer abzuzahlen. Aber wegen irgendetwas war Squeaky in Panik! Etwa wegen der momentanen Flaute? Wenn er der Wucherer war, konnte er es sich sicher leisten zu warten, bis die Polizei entweder herausfand, wer Baltimore umgebracht hatte, oder aufgab.
    Aber was, wenn nicht? Was, wenn er nur ein Teilhaber war und der andere ihn unter Druck setzte? Wer war dieser andere, und warum brach Squeaky der Angstschweiß aus, wenn man nur seine Existenz erwähnte?
    Sie überquerte die Portpool Lane und bog mit eiligen Schritten in den Coldbath Square ein. Es waren noch andere Menschen unterwegs. Die Lichter einer Gastwirtschaft fielen auf das Pflaster, als jemand eine Tür öffnete. An einer Ecke stand ein Straßenhändler, an einer anderen ein Constable, der gelangweilt aussah und zu frieren schien, wahrscheinlich, weil er die ganze Zeit auf einem Fleck stehen musste. Er war allen im Weg und hatte die Hoffnung, etwas Nützliches zu erfahren, längst aufgegeben.
    Hatte Squeaky Robinson solche Angst, weil er denjenigen, der Kopf und treibende Kraft des Unternehmens war, verloren hatte? Wie? War der Partner im Gefängnis, krank – oder sogar tot? War Squeaky Robinson in Panik, weil er plötzlich allein war und nicht wusste, wie er ohne Hilfe weitermachen sollte? Nach der Unterhaltung war sie überzeugt, dass er nicht der Wucherer war. Er hatte nicht die Ausstrahlung, nicht das Selbstvertrauen, um die jungen Frauen zu umgarnen und sie dann auszubeuten. Sonst hätte er sich von ihr nicht dermaßen aus der Fassung bringen lassen.
    Was war mit dem Wucherer passiert? Hoffnung wallte wie ein Geysir in ihr auf, und sie beschleunigte ihre Schritte. Wenn Squeaky so nicht weitermachen

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