Tod eines Fremden
Ich wüsste gar nicht, was ich sagen sollte.« Ihre Wangen wurden von einer leichten Röte überzogen, und sie wich Hesters Blick aus. »Wenn wir eine Verbindung nachweisen könnten, wäre das ganz nützlich für Sir Oliver.« Sie sagte es sehr beiläufig, und Hester lächelte, da sie genau wusste, was in Margaret vor sich ging und warum sie es selbst vor ihrer besten Freundin – oder vielleicht gerade besonders vor ihr – verbergen musste.
»Das wäre eine gute Idee«, meinte sie. »Ich schreibe an Livia Baltimore und frage sie, ob ich ihr morgen Abend einen Besuch abstatten und ihr ein paar Fragen über den Tod ihres Vaters stellen kann. Wenn ich den Brief per Boten schicke, habe ich eine Antwort, lange bevor ich losgehen muss.«
Margaret sah verblüfft aus. »Was wollen Sie ihr sagen? Doch sicher nicht, dass ihr Vater in der Portpool Lane war?«
»Also, jedenfalls nicht, aus welchem Grund.« Hester lächelte mit herabgezogenen Mundwinkeln und griff nach der Teekanne.
Am frühen Morgen schickte Hester den Brief von der Fitzroy Street ab. Sie zahlte einen Boten, damit der ihn zum Haus der Baltimores am Royal Square brachte, und vor dem Mittagessen erhielt sie die Antwort, Miss Baltimore würde sich freuen, sie am Nachmittag zu empfangen, und erwarte ihren Besuch.
Inzwischen hatte Margaret diskrete Erkundigungen eingeholt und für sich und Hester einen Besuch bei ihrem Schwager arrangiert, der mit geschäftlichen Angelegenheiten vertraut war und ihnen erzählen konnte, was über Baltimore und Söhne bekannt war, und vielleicht auch, was man insgeheim glaubte. Sie verabredete sich mit ihm für den nächsten Abend.
Am Nachmittag machte sich Hester auf den Weg. Sie trug einen blassblauen Rock und eine Jacke und einen Hut – ein Kleidungsstück, das sie normalerweise verabscheute – und hatte gegen die helle Sonne einen Sonnenschirm dabei. Er war ein Geschenk, und bisher hatte sie ihn nie benutzt. Er verlieh ihr jedoch einen Hauch Respektabilität, da er an junge Damen erinnerte, die die Zeit hatten und sich die Mühe machten, ihren Teint vor der Sonne zu schützen.
Von der Tottenham Court Road nahm sie einen Omnibus und war froh, die letzten paar hundert Meter zum Haus der Baltimores am Royal Square zu Fuß gehen zu können. Sie wurde umgehend eingelassen und in ein kleines Wohnzimmer geführt, in dem die Damen des Hauses ihren Besuch empfingen. Es war auf sehr weibliche Art möbliert. An den Fenstern hingen Vorhänge in einem hellen, zarten Gelbton, die Stühle waren gepolstert, und pastellfarbene Kissen machten sie besonders einladend. In einer Ecke stand ein Stickrahmen, daneben ein Korb mit gefärbter Seide und Wolle. Der Funkenschirm vor dem Kamin war mit Blumen bemalt, und an dem runden Tisch in der Mitte des Zimmers verströmte eine große Porzellanschale mit weißen und gelben Tulpen einen zarten, angenehmen Duft.
Livia Baltimore erwartete sie voller Neugier. Sie war in das obligatorische Trauerschwarz gekleidet, was ihre helle Haut jeglicher Farbe beraubte. In dem Augenblick, in dem Hester das Zimmer betrat, erhob sich Livia von dem Stuhl, legte ein Lesezeichen in ihr Buch und trat auf sie zu.
»Wie freundlich von Ihnen, hierher zu kommen, Mrs. Monk. Ich hatte gehofft, dass Sie mich über all Ihrer Arbeit an den Leidenden nicht vergessen. Sie hätten sicher gerne eine Tasse Tee?« Ohne auf eine Antwort zu warten, nickte sie dem Mädchen zu, um ihre Anweisung zu unterstreichen.
»Nehmen Sie bitte Platz.« Sobald die Tür geschlossen war, deutete sie auf einen Stuhl und nahm selbst wieder Platz. »Sie sehen sehr gut aus. Ich hoffe, es geht Ihnen auch gut?«
Es wäre wahrscheinlich höflich gewesen, über eine Vielzahl von Themen zu sprechen, wie man das gemeinhin tat. Auch wenn keines eine Rolle spielte, so war es doch eine Möglichkeit, miteinander bekannt zu werden. Es kam nicht darauf an, was man sagte, sondern wie. Aber dies war eine gesellschaftlich ungewöhnliche Bekanntschaft, sicher würden sie sich niemals wiedersehen. Es gab nur eines, was sie zusammenbrachte, und ungeachtet dessen, was die Konventionen verlangten, war es das Einzige, was den beiden Frauen am Herzen lag.
»Ja, danke«, antwortete Hester und machte es sich auf dem Stuhl bequem. »Natürlich gibt es bei uns im Augenblick ziemliche Probleme, und Frauen werden geschlagen, einfach aus Gereiztheit und Enttäuschung darüber, dass die Geschäfte nicht laufen.« Während sie sprach, beobachtete sie Livias Miene und sah, wie die
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