Tod eines Holländers
die Fenster zu öffnen, um war m e Luft und Moskitos hereinzulassen.
Der Wacht m eister war erst spät von seiner Runde zurückgekehrt. In Un t erhe m d und abgetragener Khakihose m achte er sich jetzt in d er Küche zu schaffen. Er holte aus dem Schrank ein Glas Tomaten, die s eine Frau jeden Sommer einmachte u nd von denen sie ihm ei n en Karton vollpackte, den er dann im Zug m it nach Florenz nah m . Es war das letzte Glas; im August würde er nach Hause auf Urlaub fahren.
Der Fernseher auf dem Schrank war eingeschaltet, doch der Ton ganz leise gestellt. Der Wachtmeister fand m ehr Vergnügen dar i n, den Geräuschen im oberen Stockwerk zuzuhören, wo die Jungs, nach dem zusam m enhanglosen Ge m u r mel und dem gelegentlich e n Streit zu urteilen, be i m Kartenspiel saßen, begleitet von Ginos Radio. Das Radio war ein Geschenk seines Bruders und sein kostbarster Besitz, obgleich er die anderen immer d as Progra m m b estimmen l i e ß.
» Gott, was für eine Hitze ! «
Das war L orenzini, der das Fens t er über der Küche des Wachtmeisters aufriß und es dann verzweifelt wieder schloß.
Der Wachtmeister streute Par m esan auf seine To m atenspaghetti, goß sich ein kleines Glas Wein e i n und setzte sich an den Küchentisch. Gedankenverloren starrte er zum F e rnseher. Als er m i t seiner Gabel durch den geriebenen Käse und die leuchtend rote Sauce fahren wollte, nahm plötz l ich der Lärm über ihm zu. Di Nuccio begann eine sch m erzlic h e, fast tränenerfüllte Klage anzustimme n , seine Sti mm e hob sich und sank, unterbrochen von Lorenzinis z y nischem Stakkato, der i h m ei n e Lektion in Florentiner Realitätssinn erteilte. Je weinerlicher Di Nuccio wurde, desto ärgerlicher wurde L orenzini. Auch wenn der Wachtmeister nur gelegentlich ein Wort verstand, so wußte er doch, daß es um das Ende von Di Nuccios letzter Liebschaft ging, der achten, oder war es die neunte, in den vergangenen zwei Jahren. Der Wachtm e ister hatte die b eiden vor einer Woche auf der Piazza gesehen und war noch m ehr als sonst über den Anb l ick dieses Mädchens erschrocken, einer m ageren, unappetitlic h en Erscheinung in hautengen schwarzen Jeans, einem weiten T-Sh i rt in grellem Pink m it Glit t erdesign auf der Brust und einem stark gesch m inkten Gesicht, das unter einem Berg gebleichter Wuschelhaare kaum noch zu erkennen war. Als er die beiden von der anderen Straßenseite aus sah, waren ihm vor Entsetzen fast die Augen aus dem Kopf gefallen, aber Di Nuccio, der da m i t beschäftigt war, sich über das Mädchen zu beugen und pausenlos auf sie einzureden, hatte ihn nicht be m erkt. Seine Affären liefen chronologisch immer nach de m selben Muster ab: ein Monat Vorarbeit, in dem Di Nuccio wie ein liebestoller Kater heru m lief und von nichts anderem redete und allen Menschen auf den Geist ging, dann e i n paar relativ ruhige Monate, in denen das Mädchen Wachs in se i nen Händen war, und schließlich das große Problem, das alles sein konnte, von einem m y thischen Rivalen bis hin zum Nein der Ma m a. Stand das Problem erst einmal fest, war die Affäre beendet, und Di Nuccio zog sich etwa eine Woche lang i n m ürrisches Schweigen zurück.
Lorenzini, der kurz davor stand, das Mädchen zu heiraten, dem er seit seiner Schulzeit den Hof m achte, versuchte angestrengt, Di Nuccio zur Vernunft zu bringen. Di Nuccio erklärte dem Wachtm e ister im Vertrauen, daß Lorenzini ein gefühlloser Norditaliener sei, der nichts verstehe. Der Wachtmeister erkl ä rte dem jungen Gino im V ertrauen, daß Lorenzini ein Ro m antiker sei, der tatsächlich nichts verstehe, und daß Di Nuccio sich früher oder später, wenn er auf genügend Affären zurückblicken könne, die seiner Eitelkeit sch m eichelten, sich eine Freundin suchen werde, die zufällig ein Café besaß oder ein Grundstück erben würde, und dann würde zusammenkommen, was zusammengehöre. Gino beschränkte s i ch aufs Zuhören.
Im Fernsehen fing ein Film an; der Wachtm e ister beugte sich vor, um den Ton lauter zu stellen. In dem Moment klingelte das Telefon. Er ging ins Schlafzimmer hinüber, wo er nachts, wenn nie m and m e hr im Büro saß, Telefongespräche annah m , dachte dabei sofort an den Holländer und ste l lte fest, daß dieser Gedanke die ganze Zeit in ihm gewesen war, als hätte er einen Anruf erwartet.
Doch es war seine Frau.
»Ich will d e n Wachtmei s ter sprechen!« brüllte sie, da sie durch nichts davon zu überzeugen war, daß das Telefon, ohne e
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