Tod eines Holländers
schaute sie sich u m , und der Wachtmeister war überzeugt, daß sie ihn gesehen hatte, bevor sie einen Mo m e nt zögerte u nd dann nach links einbog.
Zuerst dachte er, sie könnte wieder nach links einbiegen und so wieder auf der Piazza Santo Spiri t o herauskom m en, doch sie überquerte statt dessen die Straße und bewegte sich in Richtu n g Palazzo Pitti, tauchte dabei für einen Augenblick in einer japanischen Touristengruppe unter, den einzigen Menschen, die sich ebenso schnell bewegten wie sie. Als er sie wieder erspähte, befand sie sich schon auf halber Höhe des ansteigenden Vorplatzes, m i tten in der prallen Sonne.
Sie schien, unglaublich, zur Carabinieri-Wache zu wollen, d i e sich hinter dem Bogengang ganz links befand, trat aber, nachdem sie am Postkartenstand kurz stehengeblieben war, durch eines der großen Hauptportale, die zum Innenhof führten, zur Galerie und zum Boboli - Garten dahinter. Sofort war sie im Halbdunkel des Durchgangs verschwunden. Der Wachtmeister, der ihr keuchend hinterhergelaufen war, geriet für einen Mo m ent in Panik, als s i ch die Menschen m enge rings um ihn schloß und ihm alles vor den Augen verschwa mm . Er hatte vor lauter Konzentration gar nicht ge m erkt, daß seine Sicht immer schlechter geworden war, doch jetzt rollten ihm die Tränen über die Wangen, und er war blind wie ein Maulwurf, der gerade an die Erdoberfläche gekrochen war. Fluchend suchte er seine Taschen nach T aschentuch und Sonnenbrille ab. Als er wieder sehen konnte, hatte er nur noch wenig Hoffnung, sie zu entdecken, doch das Menschengewühl nützte ihm m ehr als ihr. Sie war die breite Treppe rech t s hochgelaufen, die zur Galerie führte, m ußte im zweiten Stockwerk aber m angels Eintrittskarte zurückgewiesen worden sein. Der Bi l lettschalter war im Hof, links von der Treppe.
Er entdeckte sie, wie sie versuchte, sich treppab durch eine entgegenkom m ende T o uristengruppe zu kä m pfen, deren Führer einen Stock schwenkte, an dem ein rotes Taschentuch flatterte. Ohrenbetäubender Lärm erfüllte die Kolonnade. Zwei dicke Frauen in pastellfarbenen Hosenanzügen packten den Wachtm e ister am Arm u nd verlangten m it schriller Stimme, den Weg zu irgendeinem unverständlichen Ort gezeigt zu beko mm e n. Er schüttelte sie ab und d rängte weiter zur Hof m itte, wie Signora Goossens vor ih m , und sah entsetzt, daß sie sich in Richtung Park bewegte.
» Pardon, entschuldigen Sie ! «
Der Durchgang zum Park war sch m al, und die erschöpften Touristen, die für die k urze Zeit S chatten ver m utlich da n kbar waren, bewegten sich im Schneckentempo voran. Die Entschuldigung des Wachtmeisters bewirkte nur, daß sie stehenblieben und ihm den Weg noch m ehr verstellten. Ein kräftiger junger Mann m i t kurzen Hosen drehte sich um und st i eß ihm einen ri e sigen Rucksack ins Gesicht.
»Ich bitte Si e , lassen Sie m ich durc h …«
Schließlich war er draußen im gleißenden Sonnenlicht, vor ihm die ansteigende Parklandschaft, und durch die Bäume schimm e rte die Do m kuppel. Er wandte sich nach rechts, daß der Kies auff l og, und sah, wie sich die Frau durch eine entgegenkomm e nde Schulklasse schob. Hätte sie ihr Te m p o verringert und wäre in der Menschen m enge untergetaucht, hätte m an ihr un m öglich fol g en können. Sie drängte sich aber fast im Laufschritt vorwärts.
» Hast also Angst vor m ir«, m u r m elte der Wachtmeister. Er war schon ziemlich außer Atem und spürte den Kies wie ein Brennen unter den Schuhsohlen. In diesem of f enen, stauberfüllten Teil des Gartens brannte die Sonne unbar m herzig, und die Aussicht auf eine Verfolgungsjagd durch den Park fand der Wacht m eister nicht besonders ko m isch. Da die Frau lange Jahre in Florenz gelebt hatte, kannte sie diese Gegend wahrscheinlich besser als er und würde gewiß in diesem Teil bleiben, wo das Menschengewim m el immer am stärksten war. Es gab m indestens drei Ausgänge, die sie benutzen konnte… »Wohin denn jetzt ? «
Sie blieb in d em unteren Teil, lief den Weg an der Rückseite des Palastes entlang, dann nach links, wo sich vor einem gemä h ten Grashang ein m ächtiger, weiß schi mm ernder Pegasus erhob. Als sie dort, wo eine rö m ische Wächterfigur den Anfang des Laubengangs m arkierte, u m die Weg b iegung verschwand, verlor er sie für einen Moment aus den Augen. Völlig verwirrt beschleunigte er seine Schritte. Er hatte gedacht, daß s i e hierhergekom m en war, um entweder die Touristin zu
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