Tod eines Holländers
sie im Recht war… Ich weiß nicht ge n au, wie ich e s ausdrücken soll, aber ich bin sicher, wenn Sie sie gesehen hätten…«
Es entstand eine Pause, die immerhin so lang war, daß die letzten Worte auf den Wachtmeister einwirken konnten. Er riß sich aus seinen Gedanken. Sie hatte sich nicht beschwert. S i e hatte es also nicht gewagt. Sie hatte so getan, als wüßte sie nichts von der Beschattungsaktion, und hatte in der Zentrale vorgesprochen, um sich ins Recht zu setzen. Darauf schien es im m er wieder hinauszulaufen… ›Ich kann tun, was ich will.‹ Das war auch dem Leutnant aufgefallen, und er war genauso verblüfft.
» Die ganze Zeit, während sie hier im Büro saß, schaute sie sich nervös u m , als erwartete sie, daß jemand aus dem Schrank springen und sie verhaften würde. Ich wüßte gar n i cht, wer…«
Der Wachtmeister schwieg.
» Sie gibt zu… ich m eine, sagt aus… sie sei hierhergekommen, um ihren Stiefsohn zu besuchen, obwohl sie ihn seit zehn Jahren nicht m ehr gesehen hat, aber ich konnte sie ja nicht gut zwingen, m ir den Grund dafür zu nennen; sie hat nur gesagt, es sei e i ne Privatangelegenheit, die in erster Linie sie selbst angehe und nichts m it dem Selbst m ord zu tun habe…«
» H a t sie tatsächlich Selbst m ord gesagt ? «
» Ja. Aber ich hatte bereits erwähnt, welche Position der Staatsanwalt in dieser Sache vertritt, daher… Ich verstehe überhaupt n i cht, weshalb sie derart nervös war. Ständig sah sie zur Tür, als befürchtete sie, daß ihr jemand bis in die Zentrale gefolgt sei…«
Der Wachtmeister betrachtete seinen nassen Schuh.
» Sie finden wohl, daß ich übertreibe. Ich m uß Ihnen aber e t was gestehen: dies ist m ein erster großer Fall… der erste, für den ich verantwortlich bin…«
Der Wachtmeister setzte einen Ausdruck der Überraschung auf.
» Doc h «, sagte der Leutnant. » Wirklic h. «
Wie alt m ochte er sein? Vierundzwanzig, fünfundzwanzig? E r wirkte jünger. Vielleicht lag es an seinen So m mersprossen. Er errötete etwas, wahrscheinlich aus Unzufriedenheit m it s ich selbst. Er hatte sich eine Blöße gegeben, hatte ve r gessen, daß er, der Offizier, m it einem Untergebenen sprach, und sich s t att dessen wie ein nervöser Jugendlicher aufgeführt, der einen älteren erfahrenen Menschen um Hilfe bittet. Der Wachtm e ister fand dieses Errö t en zwar sy m pathisch, aber er konn t e dem Leutnant nichts sagen, ohne ihm gleichzeitig die Verantwortung für sein vorschriftsw i driges Tun auf die jugendlichen Schultern zu laden. Statt dessen fragte er: » Haben Sie m i t dem Sta a tsanwalt gesprochen ? «
» Heute abe n d, ganz kurz, bevor ich h i erherkam . «
» Und, was sagt er ? «
»Er… er h at den Er m i ttlungsrichter bereits ersucht, eine Archiviazione auszufertigen, da e i n Fre m dverschulden n i cht vorliege . «
» Aha . «
»Ich dachte, Sie… als Sie gestern hier im Büro waren, schienen Sie der Ansicht zu sein, daß…«
» Der Hollä n der er m ordet wurde, jawohl . «
»Ich habe mir die Akte natürlich genau angesehen. Es gibt da ein paar Dinge, die nicht zu einem Selbst m ord passen. Wenn Ihnen noch irgend etwas auffallen sollte … «
» Mir ist einiges aufgefallen . «
» Der Ermittlungsrichter wird die Archiviazione erst nach der Bestattung unterschreiben, falls ein Fa m i lienangehöriger Einspruch erheben sollte. Das heißt, wir haben Zeit bis e t wa m orgen mit t ag . «
»Wir können nur unser Möglichstes versuchen, nicht wah r ? Wenn Sie n i chts dagegen haben… ich glaube, i ch m uß m ir ein paar andere Sachen anziehen…«
Erst da hatte der Leutnant be m erkt, daß die Uniform des Wachtm e isters völlig durchnäßt war.
Inzwischen war es kurz nach halb neun, und draußen zog allmählich die Däm m erung herauf. Der Wachtmeister t r ank seinen Kaffee aus und schaltete die Schreibtischlampe a n. Offenbar ha t ten sie noch eine Stunde m ehr Zeit als angeno m men. Je m and vom niederlä n dischen Konsulat hatte angerufen und m i tgeteilt, daß die Schwieger m utter des Holländers sie infor m iert habe, ihre Tochter habe um fünf Uhr m orgens einen Jungen geboren, zwei Wochen zu früh. Deswegen sei sie nicht, wie geplant, schon in der Nacht losgefahren, sondern erst m it dem Holland-Italien-Expreß, der am Nach m i ttag abfahre. Dieser Zug würde um 10.36 Uhr des darauffolgenden Tages in Florenz eintreffen, daher sei die Beerdigung auf 11.30 Uhr verschoben worden. Nachdem die Leiche vom
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