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Tod eines Lehrers

Tod eines Lehrers

Titel: Tod eines Lehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Neidern?«
    »Wer hätte ihm was neiden sollen?«, fragte sie zurück. »Er war seit fünfundzwanzig Jahren an der Schule, er hat unglaublich viel dort bewirkt, aber er hat nie die andern spüren lassen, dass er eventuell etwas Besseres war. Und außerdem hat er keine Reichtümer angehäuft, ein Lehrer verdient nicht gerade die Welt.«
    »War er denn etwas Besseres?«
    »Nein, war er nicht. Er war nur anders.«
    »Inwiefern anders?«
    »Er ist nicht mit dem Strom geschwommen, sondern hat es geschafft, dass die andern ihm folgen. Und die meisten haben das nicht einmal gemerkt. Dass das Georg-Büchner-Gymnasium einen so guten Ruf genießt, ist nicht zuletzt meinem Vater zu verdanken.«
    »Waren Sie auch auf dieser Schule?«
    »Ja.«
    »Aber Ihr Vater war nie Ihr Lehrer, oder?«
    »Nein, das wäre ganz ausgeschlossen gewesen. Ich hätte es auch nie gewollt. Und wie Sie sehen, habe ich es auch ohne ihn geschafft.«
    »Wie meinen Sie das?«, fragte Brandt stirnrunzelnd.
    »Nicht, wie Sie denken. Er hat mir natürlich geholfen, wenn ich in Mathe oder Physik Probleme hatte, aber eben so, wie ein Vater seiner Tochter hilft. Nicht mehr und nicht weniger. Das sind eben die Privilegien einer Lehrerstochter.«
    »Werden Sie die nächsten Tage hier bleiben?«
    »Wohl oder übel. Ich kann meine Mutter in ihrem Zustand unmöglich allein lassen.«
    »Haben Sie sonst noch Verwandte?«
    »Meine Großeltern mütterlicherseits, aber die leben seit zehn oder elf Jahren in Spanien, um dort ihren Lebensabend zu verbringen. Und dann habe ich noch einen Onkel väterlicherseits, der aber schon vor dreißig Jahren nach Südafrika ausgewandert ist. Zu ihm haben wir überhaupt keinen Kontakt. Ansonsten gibt es keine Verwandten mehr.«
    »Eine Frage noch – kennen Sie den Weg, den Ihr Vater immer nachts mit dem Hund gelaufen ist?«
    »Natürlich kenne ich den Weg. Ich bin selbst etliche Male mit Henry dort langgegangen, wenn ich abschalten wollte.«
    »Und andere Personen wussten auch davon?«
    »Ich glaube, es gibt kaum einen in der Nachbarschaft, der das nicht wusste. Er hat das bei Wind und Wetter gemacht.«
    »Ja, Frau Schirner, dann mal vielen Dank, und richten Sie bitte Ihrer Mutter aus, dass wir morgen noch einmal vorbeischauen. Ich hoffe, es geht ihr dann wieder etwas besser.«
    »Mach ich.«
    »Wiedersehen.«
    »Tschüs.«
    Carmen Schirner blieb in der Tür stehen, bis Brandt und Eberl in ihren Dienstwagen eingestiegen waren. Sie wartete, bis derMotor angelassen wurde, und ging wieder ins Haus. Sie ließ sich in den Sessel fallen, schloss für einen Moment die Augen und spürte ihr Herz bis in die Schläfen pochen. Dann holte sie aus ihrer Handtasche eine Schachtel Zigaretten, nahm eine Marlboro heraus und zündete sie an. Im Haus herrschte zwar Rauchverbot, doch das scherte sie jetzt wenig. Sie brauchte etwas, um ihre Nerven zu beruhigen. Nachdem sie zu Ende geraucht hatte, stand sie auf, lauschte, ob auch alles ruhig war, ging in den Keller, wo ihr Vater sich bereits vor Jahren ein Büro eingerichtet hatte, sein Refugium, wie er es nannte, steckte den Schlüssel in die rechte Tür des alten Schreibtischs, öffnete sie, nahm eine Mappe heraus und blätterte darin. Als sie Geräusche von oben vernahm, legte sie die Mappe schnell wieder zurück, verschloss den Schreibtisch und verließ das Zimmer. Während sie nach oben ging, kam ihre Mutter die Treppe vom ersten Stock herunter. Sie war blass, die Augen gerötet. Sie schien nicht einmal zu bemerken, dass im Haus geraucht worden war.
    »Warum ist er einfach so gegangen?«, sagte sie mit schwerer Stimme und Tränen in den Augen. »Warum einfach so? Wir konnten nicht einmal mehr miteinander reden.«
    »Du kannst doch nichts dafür«, sagte Carmen Schirner und nahm ihre Mutter in den Arm, um sie zu trösten.
    »Doch. Es ist auch meine Schuld, dass das alles passiert ist.«
    »Nein, Mutti, ist es nicht. Keiner hat Schuld außer derjenige, der ihm das angetan hat. Und denk dran, er hatte ein gutes Leben.«
    »Aber nicht mit mir. Ich war keine gute Ehefrau für ihn, er hatte etwas Besseres verdient, das ist mir heute klar geworden.«
    »Mutti, komm, das bringt doch nichts. Du warst eine gute Ehefrau und auch Mutter und …«
    »Kind, ob ich eine gute Ehefrau war oder nicht, kannst du doch gar nicht beurteilen. Ich war nie so für ihn da, wie ich es hätte sein sollen. Ich habe immer nur an mich gedacht.«
    »Das stimmt nicht. Du hast dir nichts vorzuwerfen.«
    Helga Schirner löste sich aus der

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