Tod eines Lehrers
Umarmung und schnäuzte sich. Sie schüttelte den Kopf, stellte sich ans Fenster und schaute hinaus. Die tief stehende Sonne schien von einem klaren blauen Himmel, aber sie hatte gegen die Kälte, die alles hatte erstarren lassen, keine Chance.
»Wir haben in der letzten Zeit kaum noch miteinander geredet. Dabei wollte ich ihm eigentlich so viel sagen. Es tut mir alles so furchtbar Leid, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie Leid es mir tut. Wie lange bleibst du denn hier?«
»So lange du willst. Ich werde diese Woche meine Vorlesungen und Kurse ausfallen lassen. Ich versäume nichts weiter.«
»Ich habe deinen Vater geliebt, weiß Gott, ich habe ihn geliebt. Aber jemanden zu lieben und es ihm auch zu zeigen, das ist das Schwere an der Liebe und am Leben. Ich habe es ihm nicht mehr gezeigt, schon seit Jahren habe ich es ihm nicht mehr gezeigt. Und jetzt ist es zu spät. Ich werde mir das nie verzeihen können. Niemals.«
»Jetzt gib dir nicht die Schuld an dem, was …«
»Du brauchst gar nicht zu versuchen mich zu trösten, denn ich kenne meine Fehler. Aber wie gesagt, es ist zu spät, sie wieder gutzumachen. Es ist alles zu spät. Magst du mir ein Glas Wein einschenken?«
»Ich weiß nicht, ob das so gut ist«, sagte Carmen zweifelnd.
»Du hast Medikamente genommen.«
»Bitte! Oder muss ich es selbst tun? Du rauchst, oder glaubst du, ich würde nicht merken, dass du im Haus geraucht hast?«, fuhr sie ihre Tochter unwirsch an.
»Schon gut.« Carmen holte aus dem Schrank zwei Gläser und aus dem Keller eine Flasche Rotwein. Sie entkorkte sie und schenkte beide Gläser halb voll. Ihre Mutter trank ihres in einem Zug leer und schenkte sich noch zweimal nach. Sie setzte sich auf die Couch und ließ sich zurückfallen, die Augen geschlossen. Carmen nahm neben ihr Platz und legte ihre Hand auf die ihrer Mutter.
»Es wird alles gut. Papa ist jetzt in einer besseren Welt. Ihr werdet euch wiedersehen.«
»Wenn du es sagst.«
»Ich weiß es. Und jetzt ruh dich aus. Und bitte keinen Alkohol mehr.«
»Tu mir einen Gefallen, mach mir keine Vorschriften, zumindest nicht heute. Ich möchte heute einfach nur verdrängen und vergessen. Nur heute.«
»Ich kann es dir nicht verbieten. Ich geh mal hoch nach Thomas schauen.«
»Tu das.«
Carmen Schirner erhob sich und ging nach oben. Thomas und Henry lagen auf dem Bett, der Fernseher und die Stereoanlage liefen gleichzeitig, Thomas hatte Kopfhörer auf, die er abnahm, als seine Schwester ins Zimmer trat.
»Ich wollte nur mal sehen, wie’s dir geht«, sagte Carmen.
»Geht so.«
»Kann ich was für dich tun?«
»Nee, ich will allein sein.«
»Okay. Aber wenn was ist, sag Bescheid.«
»Hm.«
Carmen Schirner betrat leise das Schlafzimmer ihres Vaters und machte die Tür hinter sich zu. Sie ließ ihren Blick durchs Zimmer schweifen. Das Bett war noch gemacht, vor dem Nachtschrank stand eine ungeöffnete Flasche Bier, die er wie immer vor dem Einschlafen trinken wollte. Sie setzte sich auf die Bettkante und dachte nach.
Mittwoch, 15.45 Uhr
S taatsanwaltschaft Offenbach. Peter Brandt klopfte an die Tür mit dem Schild »Elvira Klein, Staatsanwältin« und trat ohne Aufforderung ein. Sie saß hinter ihrem Schreibtisch undtelefonierte, runzelte die Stirn, als sie Brandt erblickte, und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, sich zu setzen. Auf dem Schreibtisch waren ein paar Akten, die FAZ und das Handelsblatt sowie ein Bild ihrer Eltern. Sie verabschiedete sich von ihrem Gesprächspartner und legte auf.
»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte sie, und er hatte das Gefühl, als meinte sie in Wirklichkeit: Ihr Glück, dass Sie meinem Befehl gehorcht haben. »Ich habe erfahren, was passiert ist. Das ist auch der Grund, weshalb ich Sie hergebeten habe. Ich möchte Sie bitten, den Fall Schirner so sorgfältig wie nur irgend möglich zu bearbeiten. Sorgfältiger als jeden andern Fall.«
»Wir arbeiten immer sorgfältig«, entgegnete er provozierend lässig. »Unsere Aufklärungsquote liegt bei über neunzig Prozent, das können Sie gerne nachkontrollieren.«
Elvira Klein stand auf, stellte sich mit dem Rücken ans Fenster und sah Brandt direkt an. Sie war groß gewachsen, sehr schlank, hatte halblanges blondes Haar und einen forschenden Blick aus stahlblauen Augen, dem Brandt jedoch standhielt. Alle nannten sie die schöne Staatsanwältin, und sie war schön, was Brandt auch zugab. Sie hatte ein ausgesprochen hübsches und ausdrucksvolles Gesicht, lange Beine und
Weitere Kostenlose Bücher