Tod eines Lehrers
waren die Scheiben frei. Der große Verkehr in die Innenstadt setzte ein, die Kaufwütigen waren unterwegs. Brandt fuhr die Darmstädter Landstraße hoch und über Neu-Isenburg nach Langen. Von unterwegs rief er bei Kerstin und Silvia an, die beide zu Hause waren. Um kurz vor halb zwölf kamen sie bei Kerstin Abele an.
Samstag, 11.24 Uhr
D ie Tür wurde ihnen von einem großen, stämmigen Mann geöffnet. Brandt schätzte ihn auf Anfang bis Mitte fünfzig. Sein Gesicht war solariumgebräunt, die fast schwarzen Haare gefärbt, der Körper im Fitness-Studio in Form gehalten. Vielleicht, dachte Brandt, um so bei den jungen Damen, die mit ihm bei der Lufthansa arbeiteten, einen mindestens genauso guten Stand zu haben wie die jüngeren Männer. Brandt hatte sich vorgenommen, niemals sein Alter zu verleugnen. Wenn die Haare grau wurden, wurden sie eben grau, wenn die tiefen Falten kamen, dann kamen sie eben, und wenn es Winterwar wie jetzt, dann legte er sich nicht unter eine Sonnenbank, sondern würde warten bis zum Frühling und Sommer, sich in seiner Freizeit in die Sonne legen, etwas lesen oder vor sich hin dämmern und so eine natürliche Bräune erzielen. Abele musterte Brandt und Sievers mit kritischem Blick aus eisblauen Augen. Er hatte etwas Südländisches an sich, aber der größte Teil davon war künstlich.
»Ja?«, sagte er mit sonorer Stimme, ein weiteres Attribut, das ihm bestimmt bei jenen Frauen, die mehr auf das Äußere achteten, Punkte einbrachte.
»Brandt, Kripo Offenbach. Das ist meine Kollegin. Ich habe eben angerufen.«
»Ah ja, kommen Sie rein. Dürfte ich erfahren, was Sie schon wieder von meiner Tochter wollen? Sie waren doch erst gestern hier, wie meine Frau mir gesagt hat.«
»Wir haben nur noch ein paar Fragen«, antwortete Brandt kurz angebunden.
»Kerstin ist in ihrem Zimmer, seit Tagen kommt sie da nicht mehr raus. Der Tod von Herrn Schirner hat sie wohl sehr mitgenommen«, sagte Abele. Brandt registrierte die Kälte in seinen Augen und die leicht nach unten gezogenen Mundwinkel. Er schätzte ihn als einen Zyniker ein, auch wenn er versuchte, sich in diesem Moment anders zu geben.
»Können wir hochgehen?«
»Bitte, Sie kennen sich ja inzwischen hier aus.« Brandt fühlte sich bestätigt, Abele war ein Zyniker.
Auf dem Weg nach oben warf er Andrea einen kurzen, aber eindeutigen Blick zu und flüsterte: »Der Typ ist ein Arschloch.«
»Pssst.«
Er klopfte, von drinnen kam wieder dieses zaghafte »Herein«. Kerstin saß im Schneidersitz auf dem Bett, der Fernseher und die Stereoanlage liefen gleichzeitig. Sie war ungekämmt und hatte dunkle Ränder unter den Augen, als hätte sie mehrere Nächtehintereinander durchgemacht. Es war sehr warm in dem Zimmer, die Luft abgestanden. Kerstin trug eine Jeans und ein T-Shirt und war barfuß.
»Mein Vater hat mir schon gesagt, dass Sie angerufen haben. Was gibt’s denn noch?«
»Dürfen wir uns setzen? Das ist übrigens Frau Sievers, eine Kollegin.«
»Hallo«, sagte Andrea freundlich und setzte sich auf die Bettkante, während Brandt sich den einzigen Stuhl heranzog.
»Hallo.«
»Wie geht es Ihnen heute?«, fragte Brandt.
»Wie soll’s mir schon gehen? Ich fühl mich nicht besonders gut, das sehen Sie ja vielleicht. Ist ziemlich viel passiert in den letzten Tagen.«
»Wir sind noch mal wegen Maureen Neihuus hier …«
»Ich hab doch schon alles gesagt.«
»Ich hätte trotzdem noch ein paar Fragen. Zum Beispiel, ob sie einen Freund hatte.«
»Ph, Maureen und einen Freund! Wenn ihr Vater das rausgekriegt hätte!«
»Wie soll ich das verstehen?«, fragte Brandt.
»Dieser Arsch redet nämlich nicht viel, sondern schlägt gleich zu. Egal, ob bei Maureen oder ihrem Bruder. Aber Maureen lebt ja nicht mehr … Wieso fragen Sie mich eigentlich die ganze Zeit über sie aus?«
»Wie ich gestern schon sagte, wir versuchen Zusammenhänge herzustellen. Sie müssen sich das wie ein Puzzle vorstellen, ein paar Teile passen schon zusammen, aber noch fehlen uns die wesentlichen Teile, damit es auch ein ganzes Bild ergibt. Noch weiß ich nicht, um was für ein Bild, oder lassen Sie es mich so ausdrücken, um was für ein Motiv es sich handelt. Wir haben gehofft, Sie würden uns weiterhelfen können.«
»Tut mir Leid, aber Sie verschwenden Ihre Zeit. Ich kann Ihnen überhaupt nicht weiterhelfen.«
»Sie haben eben gesagt, Frau Neihuus hatte keinen Freund. Hat sie nie einen gehabt?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Das heißt, sie war noch
Weitere Kostenlose Bücher