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Tod eines Maechtigen

Tod eines Maechtigen

Titel: Tod eines Maechtigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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Gerichtssaal, wo Pontius Pilatus residierte, und sie endet hier, an der Grabeskirche, die um Golgotha, den >Schädelhügel<, errichtet wurde .«
    Shulamith Gur gab sich redlich Mühe, ihren Tonfall nicht allzu monoton klingen zu lassen. Aber es fiel ihr schwer, das rechte Feuer in die Worte zu legen, zudem die französische Sprache nicht zu ihren bevorzugten zählte.
    Seit annähernd zwei Jahren verdingte sie sich nun schon als Fremdenführerin, um ihr Studium an der Hebräischen Universität zu finanzieren, und in dieser Zeit hatte Shulamith Gur wahre Heerscharen von Touristen aus aller Welt durch die Grabeskirche gelotst und deren Geschichte und Architektur mittlerweile tausend Mal und öfter heruntergebetet.
    Anfangs war es ihr noch leicht gefallen, Begeisterung zu zeigen und den Funken auf ihr Publikum überspringen zu lassen. Inzwischen aber war der Job zur Routine geworden, und Shulamith kam sich bisweilen vor wie ein Roboter, der zwar des Sprechens fähig, jedoch nicht imstande war, Emotion zu entwickeln oder gar zu vermitteln. Dazu kam noch, daß viele Besucher ihr ohnedies nur mit halbem Ohr zuhörten und sich stattdessen miteinander unterhielten oder sich auf die Informationen ihrer gedruckten Reiseführer verließen, was dem Ehrgeiz der Studentin nicht gerade zuträglich war.
    Heute aber war irgend etwas anders .
    Nein, nicht heute, verbesserte sich Shulamith Gur im stillen, sondern - jetzt!
    Irgendjemand schenkte ihr geradezu spürbare Beachtung, mehr noch: echtes Interesse. Shulamith konnte dessen Blicke gleichsam auf ihrer Haut fühlen, wie die sanfte Berührung streichelnder Finger -  kalte Finger ... Sie erschauerte und wußte nicht zu sagen, ob ihr das Gefühl unangenehm war, oder ob sie es genoß .
    Während sie auf Italienisch wiederholte, was es über die Via Dolo-rosa zu sagen gab, ließ sie den Blick unauffällig über die gemischte Touristengruppe schweifen, ohne jedoch feststellen zu können, ob eine Person daraus sie mit besonderer Aufmerksamkeit beobachtete. Eher das Gegenteil schien ihr der Fall: Die meisten der Männer und Frauen widmeten ihr Interesse der Fassade der Grabeskirche und machten einen leicht enttäuschten oder zumindest zweifelnden Eindruck, als fragten sie sich im Stillen: Hier also soll Jesus Christus gestorben und auferstanden sein? Kaum zu glauben ... Denn tatsächlich war die Kirche ihrem Äußeren nach eher wenig beeindruckend, ver-glich man sie mit anderen religiösen Bauwerken.
    »Wenn Sie mir jetzt bitte folgen wollen, Damen und Herren, dann zeige ich Ihnen, was als >Herzstück des Christentums< gilt«, fuhr Shulamith fort, wiederum zweisprachig, und dabei wies sie einladend auf die kleine Pforte, die vom Kirchplatz ins Innere der Grabeskirche führte. Bewegung kam in die Gruppe, und wie Pilger strömten die etwa dreißig Menschen an der jungen Israelitin vorbei.
    Nur einer blieb zurück.
    Bewegungslos stand er einige Meter entfernt und blickte unverwandt auf Shulamith Gur. Dabei hielt er sich im Schatten der seitlich aufragenden Johanneskapelle, so daß sein Gesicht selbst über die geringe Distanz ein grauer Schemen blieb. Fast erweckte er den Anschein, nur Teil des Gemäuers zu sein, oder ein eigentümlicher Schattenwurf.
    Shulamith wollte ihn ansprechen, brachte aber keinen Ton hervor. Sie schluckte hart, dann sagte sie, so leise, daß der andere es kaum würde verstehen können: »Wollen Sie nicht mitkommen?« Sie räusperte sich und ergänzte, eine Spur lauter: »Die Führung beginnt und -«
    Der Fremde blieb stumm, bewegte sich aber. Er hob die Hand und winkte die Studentin zu sich heran. Und sie konnte nicht anders, als seiner Aufforderung nachzukommen. Ohne bewußtes Zutun ging sie auf den anderen zu, beinahe wie ferngesteuert, und jeder Schritt ließ sie den Fremden deutlicher sehen, bis sie ihm schließlich Auge in Auge gegenüberstand, näher als es bei einer solchen, doch nur zufälligen Begegnung normal gewesen wäre. Sein kühler Atem streifte Shulamiths Gesicht und ließ sie neuerlich frösteln. Aber - es lag nicht allein an seinem Atem . Etwas Namenloses ging von ihm aus, griff wie mit kalten Händen nach ihr, berührte sie unentwegt .
    »Bitte«, flüsterte sie unbehaglich, »was -?«
    Der Fremde - trotzdem Shulamith ihm jetzt unmittelbar ins Gesicht sehen konnte, noch immer eine so düstere Erscheinung, als würden lebende Schatten in jeder Linie seiner Züge nisten - verzog die Lippen; ein echtes Lächeln indes wurde nicht daraus, nur etwas, das

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