Tod Eines Mäzens
ich war ohne Vorankündigung erschienen und hätte, sobald ich drinnen war, überall hingehen können.
Ohne genau zu wissen, was ich hier wollte, ging ich durch den kleinen Vorraum in die Bibliothek, die ich als Vernehmungsraum benutzt hatte. Einen Augenblick lang blieb ich still stehen und nahm die Atmosphäre in mich auf. Dann hörte ich ein leises Geräusch, näherte mich dem Raumteiler, der jetzt zugeschoben war, zog ihn ein wenig auf und lugte in die griechische Abteilung. Dort entdeckte ich zu meiner Überraschung Passus. Ich hatte geglaubt, alle Vigiles seien von dem Fall abgezogen worden. (Hatte Petronius ihn abgestellt, um mir nachzuspionieren?)
Passus saß an einem Tisch und las völlig vertieft. Mein leerer Magen musste wohl gerumpelt haben, denn Passus blickte auf und errötete ziemlich schuldbewusst.
»Passus!«
»Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt, Falco! Der Chef hat mich vorhin daran erinnert, dass ich diese Schriftrollen für dich auflisten sollte.«
Große Götter, das hatte ich völlig vergessen. »Danke. Hast du was gefunden? Du sahst total versunken aus.«
Er grinste schüchtern. »Ich muss zugeben, dass ich bei einer zu lesen angefangen habe und sie interessant fand.«
»Wie heißt dieses große Werk der Literatur?«
»Oh, offenbar Gondomon, König von Traximene – nur eine Abenteuergeschichte.«
»Wer hat sie geschrieben?«
»Tja, das versuche ich ja gerade herauszufinden«, erklärte mir Passus. »Ich hab die meisten Schriftrollen sortiert, aber ein paar sind ziemlich zerrissen und beschmutzt. Ich muss sie wieder zusammensetzen und hab immer noch nicht die Titelseiten der letzten beiden gefunden. Vielleicht sind sie beim Kampf abgerissen worden.«
Passus hatte das schuldbewusste Verhalten eines Lesers, der absolut gefesselt ist. Er konnte es kaum ertragen, seine Lektüre zu unterbrechen und mit mir zu sprechen. Sobald ich ihn verließ, würde er sich wieder auf die spannende Schriftrolle stürzen. Der Traum jedes Autors.
Grinsend ging ich leise durch den Vorraum zurück. Hier wurde mir eine zweite Überraschung zuteil, eine, die viel bedeutsamer zu sein schien. Als unerwarteter Besucher hergekommen zu sein, hatte sich jedenfalls bezahlt gemacht. Im Hauptempfangsraum verabschiedeten sich zwei Frauen voneinander, umarmten sich wie Schwestern. Eine wirkte etwas reserviert, ließ sich aber von ihrer überschwänglichen Gefährtin küssen und erwiderte den Kuss auf ganz natürliche Weise.
Was seltsam war – denn bei den beiden Frauen handelte es sich um Vibia Merulla und Lysa, die von der anderen aus Chrysippus’ Ehebett vertrieben worden war. Ich musste mich rasch zwischen ihnen entscheiden. Beide waren gewitzt, aber die eine war erfahrener. Ich habe meine Herausforderungen immer gern so schwierig wie möglich. Nachdem Lysas mit Vorhängen versehene Sänfte das Haus verließ und Vibia die Treppe hinauf verschwunden war, flitzte ich los, um Lysa zu folgen.
XXXVII
Die alte Dame mit den Einkäufen schlurfte wieder über die Straße, versuchte immer noch, von Dieben über den Haufen geworfen zu werden; sie tappte schwankend den Hügel hinunter, und ich musste ihr ausweichen. Ich holte meine Beute nicht weit vom unteren Ende des Clivus ein. Da ich Lysas Namen rief, als ich die Straße entlangrannte, waren die Sänftenträger überzeugt, ich müsse ein ungefährlicher Bekannter sein, und setzten ihre Last ab, sodass ich mit ihr sprechen konnte. Ich zog den Anstandsvorhang zur Seite und beugte mich über die Halbtür.
»Lysa!«, begrüßte ich sie grinsend und kam allmählich wieder zu Atem. »Sie sehen entzückend aus! Sind Sie bereits eine Braut?«
Sie war ordentlich rausgeputzt, wenn auch in zurückhaltendem Geschmack. Die schwere goldene Halskette sah wie eine griechische Antiquität aus und hatte bestimmt genug gekostet, um Vibia neidisch zu machen. Lysa ging gegen die Sommerhitze mit Verhüllung an, lange Ärmel und ein Kleid aus dunklem Stoff. Nicht die kleinste Schweißperle verunstaltete ihre olivfarbene Haut. Ihre Augenschminke war nur leicht aufgetragen, damit sie nicht verlaufen konnte, und aus dem engen Innenraum des Tragestuhls drang der Duft teuren Rosenparfums sinnlich heraus.
»Was wollen Sie, Falco?«
»Ich glaube, ich habe geträumt. Ich könnte schwören, gerade gesehen zu haben, wie Sie weiter oben an der Straße die Witwe umarmt haben.«
Falls sie verärgert darüber war, unter Beobachtung zu stehen, verbarg sie es gut. »Vibia und ich
Weitere Kostenlose Bücher