Tod Eines Mäzens
»Sie haben versucht die Unterlagen nachts mit Gewalt zurückzuholen – eine verrückte Überreaktion. Sie hätten ganz gelassen bleiben und sich auf das Gesetz berufen können. Warum gerieten Sie so unter Druck, dass Sie das Wachlokal überfallen haben? Sie haben uns erst wachsam gemacht. Das war dumm, Lucrio.«
Ich konnte den zuversichtlichen Lucrio nicht beeindrucken. Es war klar, dass er und Lysa einen Pakt des Schweigens geschlossen hatten. Lysa schien sogar froh zu sein, dass ich sie beide wegen der Bank befragte.
Das konnte nur einen Grund haben – es lenkte die Hitze von einem anderen Thema ab.
Ich schwenkte um. »Ich möchte jetzt zum Ende kommen. Wenden wir uns nun Chrysippus und dem zu, was mit ihm passiert ist.«
Ich atmete mehrmals tief durch, machte einmal die Runde und musterte jeden Verdächtigen.
»Was für ein Mann war er? Ein gerissener Geschäftsmann, der sich aus dem Nichts ein Imperium aufgebaut hatte, als er als Fremder nach Rom kam. Wenn seine Anfangsmethoden scharf waren, so trifft das auch auf tausende wie ihn zu. Als er starb, war er zu einer angesehenen Person geworden, war auf verschiedenen Geschäftsgebieten tätig, dazu ein Mäzen der Literatur und hatte einen Sohn – Diomedes –, der dabei war, sich in der römischen Gesellschaft zu verwurzeln und sich eines Tages gut zu verheiraten.«
Diomedes erwachte schläfrig aus einer offensichtlichen Trance. Er hatte vermutlich eine gewisse Bildung erhalten, aber er sah nicht sonderlich helle aus. Einer komplizierten Reihe von Argumenten zu folgen, überforderte ihn. Er war kurz munter geworden, als die Speisen aufgetragen wurden, aber die meiste Zeit hatte er neben seiner Mutter gehockt, zu Tode gelangweilt, als wäre er immer noch zehn Jahre alt. Es gefiel ihm allerdings, dass sein Name in der Öffentlichkeit erwähnt wurde.
Wenn er meine Methode heute wirklich verfolgt hätte, dann hätte er jetzt befürchten müssen, dass ich kurz davor war, mich auf ihn zu stürzen.
Lächelnd schaute ich erst zu Diomedes, dann zu Lysa. Sie wusste, was ich tat. In ihren Augen erkannte ich Furcht um ihren Sohn.
»Konzentrieren wir uns auf den Tag, an dem er starb. Chrysippus war hier in der Bibliothek.« Wir schauten uns alle um. Diejenigen, die nach dem Auffinden der Leiche hier gewesen waren, hatten den schrecklichen Tag noch mal vor Augen – die langen, mit aufgehäuften Schriftrollen bedeckten Tische, die umgeworfenen Stühle, die Leiche, das Durcheinander, das Blut.
»Diomedes«, befahl ich. »Sie sehen Ihrem Vater recht ähnlich, besonders nachdem Sie sich einen Bart haben wachsen lassen. Kommen Sie bitte zu mir. Und dann noch Philomelus, den ich übrigens ganz zufällig auswähle.«
Die beiden jungen Männer standen auf. Sie schauten besorgt.
»Danke, ihr zwei. Jetzt helft mir, das Geschehen zu rekonstruieren; es könnte sein, dass das bei jemandem Erinnerungen auslöst. Helena, würdest du so lieb sein?« Ich gab Philomelus, dem dünnen Kellner, den leeren Schriftrollenstab, den sie für mich bereitgehalten hatte. »Nehmen Sie den hier. Jetzt tun Sie beide so, als würden Sie sich anschreien.« Sie waren armselige, nervöse Schauspieler, aber ich schob sie ein bisschen herum. Diomedes wollte sich widersetzen, was vielleicht verständlich war. Philomelus war dürr wie ein Zaunpfahl und hatte offensichtlich wenig im Gymnasium trainiert, doch er stellte sich intelligenter an. »Gut, Philomelus, Sie sind der Mörder. Prügeln Sie mit dem Stab auf Chrysippus ein.« Er machte eine schwache Bewegung in Richtung von Diomedes’ Brust. »Sie kämpfen noch ein bisschen weiter, tauschen Schläge aus – und jetzt sind Sie tot, Diomedes. Sie fallen zu Boden. Hier, wo ich den Läufer hingelegt habe.«
Diomedes kniete sich hin und streckte sich ganz aus, nahm die Position regelrecht schicklich ein. Er hatte sich inzwischen jedoch in gewissem Maße in die Sache eingefühlt und lag bäuchlings ausgestreckt quer über dem Läufer. Ich half ihm hoch, dankte beiden und ließ sie zu ihren Plätzen zurückgehen.
Ich schaute Diomedes mit schräg gelegtem Kopf an. »Interessant! Sie haben sich mit dem Gesicht nach unten hingelegt. Laut Ihrem Alibi haben Sie die Leiche nie gesehen. Aber zufällig haben Sie dieselbe Lage eingenommen wie Ihr Vater, als er gefunden wurde. Später haben die Vigiles ihn umgedreht.« Um Diomedes von irgendwelchen Ausreden abzuhalten, fuhr ich rasch fort: »Natürlich könnten Sie mit den Sklaven oder vielleicht Vibia über
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