Tod eines Mathematikers
wie mir der Schweiß über den Nacken kroch. Der Maskierte verstärkte den Druck. Ein Stöhnen löste sich aus meiner Kehle. Unzählige Male hatte ich über Verbrechen berichtet. Nun lag ich auf dieser Pritsche. In der Gewalt eines Mannes. Wie zur Strafe. Ich schloss die Augen. Hoffentlich geht es schnell, dachte ich noch.
*
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Matze, nachdem Kossek den Polizeipräsidenten höchstpersönlich in Marsch gesetzt hatte. Dank Matze und Harry hatte er dem Polizeichef Name, Adresse und sogar die Arbeitsstelle von Fabian Mohr durchgeben können. Nun hieß es warten.
»Also, ich muss zurück in die Redaktion«, sagte Kossek, obwohl er wusste, dass es ihm schwerfallen würde, sich heute noch auf seine Arbeit zu konzentrieren. Die dumpfe Angst, er könnte Alexandra nie wiedersehen, drückte ihm auf die Brust. Wenn sie zurückkehren sollte, was er sich mehr als alles andere auf der Welt wünschte, dann würde er, das schwor er sich, reinen Tisch machen, ihr sagen, was er für sie empfand.
»Ich hab heute keine Termine mehr«, wandte sich Matze an seinen Chef. »Und ehrlich gesagt, ist mir heute auch nicht mehr nach Arbeit.«
Kossek nickte nur. Wie gut er Matze verstehen konnte.
»Dann kannst du mit zu mir kommen«, schlug Harry vor. »Wir können jetzt eh nichts mehr machen. Aber vielleicht fällt uns noch was ein, wenn wir in Ruhe alles durchgehen.«
Wenig später verabschiedeten sich die drei Männer und versprachen, sich gegenseitig auf dem Laufenden zu halten.
*
Das Messer glitt über meinen Hals, runter zur Brust, am Reißverschluss meines Nickianzuges entlang. Es war still. Nur ein leise Ratschen, das entstand, als die Klinge über Metallzähne des Reißverschlusses fuhr, war zu hören. Wenigstens hatte der Typ mich nicht ausgezogen. Ich trug noch immer meinen Nickianzug, in dem ich mich ins Bett gelegt hatte, weil ich nachts oft fror. Das Messer fuhr zwischen meinen Brüsten hindurch, über meinen Bauch, weiter nach unten, langsam, ganz langsam. Schweiß trat mir aus allen Poren; ich zitterte. Um nicht zu schreien, biss ich die Zähne so fest aufeinander, dass die Kiefer schmerzten. Ich durfte nicht schreien, sonst würde mein Entführer die Nerven verlieren. Und würde mich abschlachten wie ein Stück Vieh. Das Messer stoppte in Höhe des Nabels. Pikste mich durch den Stoff. Ich wagte kaum zu atmen. Der Typ weidete sich an meiner Angst.
Das Messer setzte seine Reise fort, erreichte den Venushügel, hielt inne. Meine Angst spottete jeder Beschreibung. Ich versuchte, sie zu bezwingen, indem ich meinen Atem kontrollierte. Einatmen, eins, zwei, drei … Und ausatmen. Wie ich es vor Jahren beim Karate gelernt hatte. Kokoro wa hanatan koto o yôsu – lerne, deinen Geist zu kontrollieren, und befreie ihn dann. Plötzlich hatte ich einen Geistesblitz. »Ich muss pinkeln«, presste ich hervor. In Wirklichkeit war meine Blase leer, sonst wäre hier schon längst ein Malheur passiert. Der Mann hielt einen Moment inne, schien zu überlegen, ob er eine nasse Pritsche riskieren wollte. Ich öffnete die Augen. Der Typ schnitt mir tatsächlich die Fesseln von den Händen. Dann deutete er mit dem Messer in die Ecke des Raumes, wo ich schemenhaft die Umrisse eines Klosetts und einer Dusche erkennen konnte. Meine Handgelenke brannten, als hätte ich mich verbrüht. Die Fußfesseln nahm er mir nicht ab. Aber die Kette war lang genug, um zur Toilette zu gehen.
Ich kroch von der Pritsche. Meine Beine zitterten so stark, dass es mir schwerfiel, einen Fuß vor den anderen zu setzen. In Minischritten trippelte ich zum Klo. Mein Entführer blickte diskret zur Seite. Was sollte das denn? Dieser Typ hielt mich gefangen, hatte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht gerade die besten Absichten, ließ mich aber in Ruhe pinkeln?
Nun drehte er mir sogar den Rücken zu, hatte genau kalkuliert, dass ich zu schwach sein würde, um ihn anzufallen. Er machte sich unter der Pritsche zu schaffen. Es kostete mich einige Überwindung, meine Hose runterzuziehen und mich aufs Klo zu setzen. Ich hielt es nur ein paar Sekunden aus. Dann riss ich meine Hose wieder hoch. Der Mann drehte sich zu mir um, winkte mich zu sich heran. Um Zeit zu schinden, ging ich zum Waschbecken, ließ mir kaltes Wasser über die Handgelenke laufen, beobachtete meinen Entführer aus dem Augenwinkel. Er ließ mich gewähren. Interessant. Als ich mich umdrehte und zur Pritsche zurücktrippelte, glaubte ich, meinen Augen nicht zu
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