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Tod eines Mathematikers

Tod eines Mathematikers

Titel: Tod eines Mathematikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Herrnkind / Walter K. Ludwig
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trieb mit großer Geschwindigkeit vom Schiff weg, als wolle es fliehen. »Das Leben ist vergänglich. Aber die Liebe kann ewig sein«, rief der Kapitän in den Wind. Tränen liefen mir übers Gesicht. Wieder hatte ich es nicht geschafft, mich zu versöhnen. Das Einzige, was ich mir zugutehalten konnte, war, dass ich es, anders als bei meiner Mutter, wenigstens versucht hatte. Mit dem Handrücken wischte ich mir die Tränen ab. Mein Vorrat an Taschentüchern war längst aufgebraucht. Plötzlich stand der Vampir neben mir, hielt mir wortlos ein Tempo hin. Zeigefinger und Daumen waren gelb vom Tabak. Ich nahm das Tuch, ohne ihn anzusehen oder mich zu bedanken. Die Schiffsglocke läutete acht Mal, der Wind heulte. Das gelbe Gesteck war nur noch als heller Punkt in der Ferne zu sehen. Bis es verschwand.
    *
    Ein paar Tage nach der Bestattung fing ich wieder an zu arbeiten. Simon Schröder nahm mich in die Arme, als ich in die Redaktion kam. »Mädel«, sagte er und schmatzte mir einen Kuss auf die Wange. »Schön, dass du wieder da bist. Wir haben dich irre vermisst.« Das war eine nette Umschreibung dafür, dass vieles liegen geblieben war, weil niemand meinen Job machen wollte. Ich hatte sofort alle Hände voll zu tun, was mich ablenkte. Einen Mord in Findorff, wo ein Mann seine Frau umgebracht und ihre Leiche zerstückelt hatte. Für mich bedeutete das ein paar Tage Arbeit. Verwandte abklappern, die Lebensgeschichten von Täter und Opfer recherchieren. Fotos des Ehepaares besorgen. Witwenschütteln halt.
    Ach so, Sie können natürlich nicht wissen, was das heißt. Also, wenn Polizeireporter losziehen, um Fotos von Mordopfern zu besorgen, nennt man das Witwenschütteln. Zynisch, nicht? Aber so sind wir halt. Der Job verlangt es. In der Redaktion jedenfalls graust allen vor dem, was ich so mache. Aber ich kann eben nichts anderes.
    Bevor ich richtig mit der Arbeit loslegen konnte, hatte ich allerdings um die Mittagszeit diesen Termin beim Nachlassgericht. Testamentseröffnung. Mit flauem Gefühl im Magen stieg ich die Treppen in den ersten Stock hinauf. Ich war spät dran, als ich in den Saal kam, waren schon alle da.
    Irgendwie hatte ich geahnt, dass mein Vater mich enterben würde. Aber als der Rechtspfleger das Testament verlas, war mir, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Mein Vater hatte sein gesamtes Vermögen einer Hamburger Stiftung namens MMW – Mehr Mathematik wagen vererbt.
    Obwohl die Asche meines Vaters sicher längst von Fischen verspeist worden war, schaffte er es immer noch, mich zu demütigen. Mir ein letztes Mal zu demonstrieren, dass ich seiner nicht würdig war.
    Die Mathefuzzis hatten sich natürlich nicht blicken lassen, sondern ihren Rechtsanwalt Dr.   Christian Dinklage geschickt. Einen dieser Typen, die in einer Gründerzeitvilla am Wall residierten und nur wirklich große Mandate übernahmen.
    Der Rechtspfleger, Typ Altachtundsechziger mit grauen Haaren, die sich im Nacken kräuselten, schaute mich durch die Gläser seiner Nickelbrille mitfühlend an und ließ sich dazu hinreißen, mir einen rechtlichen Rat zu erteilen, was sicher nicht erlaubt war. »Ihnen bleibt natürlich der Pflichtteil. Den kann Ihnen niemand streitig machen.« Ich nickte nur und sah zu, dass ich rauskam auf den Flur, um, obwohl das verboten war, eine zu qualmen. Seit dem Tod meines Vater rauchte ich wieder Kette, obwohl es mir nicht mal sonderlich schmeckte.
    Als ich, noch immer wie vor den Kopf gestoßen, auf dem Gerichtsflur stand und mir gerade eine Zigarette ansteckte, kam Dinklage in seiner schwarzen Robe herangeweht. »Herzliches Beileid, liebe Frau Katzenstein«, schleimte er. »Vielleicht sind Sie enttäuscht. Aber das sollten Sie nicht. Ihr Vater war Mathematiker durch und durch. Und sein Geld dient nun dazu, vielen Menschen diese wunderbare Wissenschaft näherzubringen.« Ich hätte am liebsten auf den blauen Nadelfilz im Gerichtsflur gekotzt. »Das Vermögen Ihres Vaters hätte nicht besser angelegt werden können. Gerade in Zeiten, in denen bei der Bildung am falschen Ende gespart wird, werden solche Erbschaften immer wichtiger.« Dinklage redete, als wolle er als Abgeordneter für die Bremische Bürgerschaft kandidieren und mich als Wählerin gewinnen.
    Ich sah ihn mit leerem Blick an. Das Geld war mir irgendwie egal. Ich wollte es überhaupt nicht. Seitdem ich achtzehn war, hatte ich auf die Kohle meines Vaters geschissen und mich allein durchgeschlagen. Aber die Demütigung, die mein

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