Tod eines Mathematikers
als erwarte er einen kleinen Applaus für seinen Vortrag.
»Ich dachte immer, mein Vater beschäftigt sich mit der numerischen Analysis partieller Differenzialgleichungen«, sagte Alexandra und merkte nicht, wie hilflos sie klang.
Doch Matze war erleichtert, dass seine Kollegin – trotz Clooney-Überdosis – aus ihrer Lethargie erwacht war.
Prof. Dr. Ansgar Freitag lächelte milde. »Ihr Vater hat sich mit vielen Feldern der Mathematik beschäftigt. Über alle Einzelheiten seines letzten Projekts bin ich natürlich nicht informiert, aber nach Abschluss der Arbeit wollte Prof. Katzenstein unsere Stiftung mit der Öffentlichkeitsarbeit beauftragen. Zuletzt wurde er übrigens von unserer Kollegin Dame Dr. Dr. Luciana Regadas de Castro tatkräftig unterstützt – schließlich ist sie eine der führenden Expertinnen sowohl auf dem Gebiet der Wirtschafts- als auch der Technomathematik in Deutschland …« Matze verschluckte sich an seinem Gummibärchen und bekam einen Hustenanfall. »Aber wie das in der Wissenschaft immer ist: Ob der Durchbruch morgen kommt oder in zwanzig Jahren, kann niemand sagen.«
»Vielleicht kommt er auch nie«, schnurrte die Doppel-Doktorin und musterte Matze amüsiert.
»Vielleicht auch nie, sehr richtig«, pflichtete ihr Clooney bei.
Die Doppel-Doktorin füllte ein Glas mit Wasser und schob es Matze über den Tisch. »Hier bitte, Herr Grothe.«
»Danke, sehr freundlich, Frau Dr. Dr., äh, Dame Dr. Dr., äh …«
»Luciana«, schnurrte die Doppel-Doktorin. Matze trank hastig. Puh, war ihm schon wieder heiß. Konnte nicht mal jemand das Fenster aufmachen …
»Herr Prof. Cloo…, äh, Freitag …« Alexandra schickte sich an, ihn zu retten. »Ich hätte da noch ein sehr persönliches Anliegen. Und wenn ich ehrlich sein soll, ist das auch der Grund meines Besuches.«
»Ja bitte, immer raus damit, Dame Katzenstein«, ermunterte Clooney sie.
»Zu dem Vermögen meines Vaters gehört ja auch das Haus in Bremen – mit allem, was darin ist – und alle beruflichen und privaten Unterlagen. Mit dem beruflichen Zeug kann ich nichts anfangen, das wissen Sie. Aber es gibt da ein paar private, sehr persönliche Dinge, die hauptsächlich meiner Mutter gehören. Fotos, Schmuck. Könnte ich die vielleicht …«
»Aber ich bitte Sie, das ist doch selbstverständlich. Wissen Sie was? Sie gehen einfach in das Haus und nehmen mit, wonach Ihr Herz verlangt. Haben Sie einen Schlüssel?«
Alexandra schüttelte den Kopf.
»Kein Problem, Dame Katzenstein. Herr Willich, der bedauernswerte Witwer der Haushälterin, hat mir den Schlüssel per Post zugeschickt. Wir lassen Ihnen ein Duplikat machen. Und dann können Sie ins Haus, wann Sie möchten.«
Alexandra schluckte. Tränen schossen ihr in die Augen. »Entschuldigen Sie …«, schniefte sie, »… das war in letzter Zeit alles zu viel …«
Clooney nickte verständnisvoll, zauberte eine Packung Tempos aus der Innentasche seines Sakkos und reichte ihr ein Taschentuch.
»Schon gut, schon gut«, sagte er und tätschelte ihren Arm. Im Zimmer war es plötzlich ganz still. Unangenehm still. »Darf ich mir eine Frage erlauben, werte Dame Katzenstein?«, tastete sich Clooney vor.
Alexandra nickte.
»Verstehen Sie mich nicht falsch. Wir werden das Geld Ihres Vaters natürlich in seinem Sinne verwenden. Aber warum hat er Sie eigentlich enterbt?«
Mit dieser Frage hatte Clooney einen Schalter umgelegt. Alexandra fing hemmungslos an zu weinen. Matze war perplex. Das war doch nicht die toughe Polizeireporterin, die er kannte, die zusammengesunken auf ihrem Stuhl saß. »Meine Mutter …«, schluchzte Alexandra. »Sie hat … Sie hat … Sie hat sich wegen mir umgebracht. Vor fast zwanzig Jahren. Es war meine Schuld. Das hat mir mein Vater nie verziehen.«
Clooneys Gesichtsausdruck versteinerte. Die Doppel-Doktorin und Brille sahen betreten zu Boden. Mistkerl, der hätte sich doch denken können, dass es da einen wunden Punkt in der Familiengeschichte gab, dachte Matze und sah nur eine Möglichkeit, die Situation zu retten: Flucht nach vorn. Der Profi in ihm musste endlich raus.
»Ähm«, verschaffte er sich Gehör. »Ich hätte eine große Bitte: Dürfte ich ein paar Fotos von Ihnen machen? Wie Sie ja wissen, sind wir Journalisten. Zwar sind wir heute privat hier, aber was Sie zu erzählen haben, ist so interessant, dass wir womöglich bald sehr viel von Ihnen hören werden. Und dann hätte ich schon mal Ihre Fotos. Vielleicht
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