Tod eines Mathematikers
Na warte, du kleine Schlampe.
Er denkt an sie. Sie hat keine Ahnung, was sie ihm bedeutet. Niemand hat eine Ahnung von ihm, weiß, was in ihm vorgeht. Niemand kennt den tiefen Schmerz, der in ihm tobt, tief in ihm. Diesen Hunger, der nicht zu stillen ist. Er sinkt aufs Bett, öffnet seinen Hosenknopf, zieht den Reißverschluss seiner Jeans herunter, fährt sich mit der Hand in den Schritt. Denkt an sie. Denkt an sie, denkt an sie, denkt an sie.
Die Katze steht an der Schlafzimmertür. Starrt ihn an, vorwurfsvoll. Und flitzt zurück in den Flur. Er wischt seine Hand in ihrer Bettdecke ab, schließt seine Hose, steht auf. In der Ecke hinter der Tür steht ein geflochtener Weidenkorb. Er hebt den Deckel an. Ein Hauch ihres Parfüms steigt aus dem Korb. Typisch Frauenwäsche. Riecht ganz anders als die von Männern, seine riecht immer nach Schweiß. Wahrscheinlich ist die Wäsche nicht mal schmutzig, weil sie ihre Kleider nur einmal trägt.
Er greift hinein. Ein Pullover, schwarz und ganz weich. Er legt ihn an seine Wange. Seufzt. Riecht daran. Erkennt ihren Duft wieder. Am liebsten würde er den Pulli mitnehmen, aber das wäre zu auffällig. Er legt das Teil zurück in den Korb, schließt die Augen und wühlt weiter. Seine Finger streifen den harten Stoff einer Jeans, dann wieder etwas Weiches, Zartes. Er öffnet die Augen, hält einen Hauch von einem Slip zwischen den Fingern. Schwarze Spitze. Auf dem Zwickel ein getrockneter, heller Fleck. Er hält sich den Slip unter die Nase, spürt, wie er hart wird. Schon bald. Sehr bald, wird sie ihm gehören. Ihm ganz allein. Er kann es kaum erwarten.
*
»Du, wir müssen nicht unbedingt Sushi essen gehen. Wenn es dir nicht gut geht und du lieber nach Hause möchtest …«, sagte Matze, als sie Clooney entkommen waren und wieder im Auto saßen.
»Doch, wir müssen. Ich habe Hunger. Außerdem geht es mir zu Hause auch nicht besser«, raunte Alexandra und nannte ihm eine Adresse in Eppendorf.
Während der kurzen Fahrt sprach Alexandra kaum ein Wort, nur eben so viel, wie nötig war, um ihm den Weg zu weisen. Ansonsten brütete sie stumm vor sich hin. Matze konzentrierte sich aufs Fahren.
Kurz darauf saßen sie in einem Sushi-Restaurant an der Eppendorfer Landstraße. Um diese Zeit, es war später Nachmittag, waren sie fast die einzigen Gäste. Sushi, Sashimi & Co. zogen auf einem Laufband an den Gästen vorüber und flüsterten dem, der dafür empfänglich war, kokett zu: ›Nimm mich, nimm mich, nimm mich.‹ Matze hätte ganz gerne ein Bierchen gezischt oder auch zwei. Aber das ging natürlich nicht, weil er noch nach Bremen zurückfahren musste. Sie nahmen am Laufband Platz und Alexandra wählte zielstrebig ein Tellerchen aus, bestellte sich eine Flasche Sake. Matze griff ebenfalls zu. Stumm macht sich über ihre rohen Fisch-, Reis- und sonstigen Häppchen her, trank dazu hastig ihren Wein. Matze wagte sich an ein Röllchen mit dem eigenartigen Namen Uramaki.
»Pappnasen«, sagte Alexandra plötzlich.
»Pappnasen?«, fragte Matze irritiert.
»Na, im Grunde genommen hat unsereiner doch ’ne Pappnase auf und macht den ganzen Tag Faxen. Im Dienste der Volksbelustigung. Das Volk will Brot und Spiele. Sonst muckt es auf. Und wir Journalisten sind eben für die Spiele zuständig. Geschichtenerzähler. Fahrendes Volk sozusagen. Bänkelsänger, Schauspieler und Artisten. Wenn unsere Vorfahren in die Stadt kamen, holten die Leute die Wäsche von der Leine. Zu Recht übrigens.« Alexandra leerte ihr Sake-Becherchen.
»Hä?« Matze verstand nur Bahnhof.
»Ist so«, gab Alexandra zurück.
Matze schaute seine Kollegin ratlos an. Hatte Alexandra jetzt ihren Moralischen oder was? Gott, diese Frau war ihm einfach zu kompliziert. Launisch bis zum Gehtnichtmehr. Mussten eigentlich alle gut aussehenden Weiber so kompliziert sein?
»Wir berichten darüber, was andere Leute so treiben. Toll!«, nahm Alexandra den Faden wieder auf, nachdem sie sich mit einem Schluck Sake gestärkt hatte.
»Find ich schon, irgendwie!«, gab Matze zurück.
»Geschichten aus der Abteilung Blut und Sperma«, erwiderte Alexandra.
»Gibt’s was Spannenderes?«, fragte Matze zurück.
»Das sieht dir ähnlich!«
»Was soll’n das nu wieder heißen?«
Sie legte ihre Hand auf seinen Unterarm. Ihre Finger waren eiskalt. Und trotzdem wünschte sich Matze, sie würde sie auf seinem Arm ruhen lassen.
»Ach Matze, mein lieber Freund …« Plötzlich klang ihre Stimme ganz weich. Unberechenbar, diese Frau.
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