Tod eines Mathematikers
darauf, ihrer Bestimmung zugeführt zu werden.
»Bedienen Sie sich«, ermunterte Clooney seine Gäste, als er Matzes gierigen Blick bemerkte. Dann wandte er sich Alexandra zu. »Dame Katzenstein, ich nehme an, Sie wollen mit uns nicht nur über Ihren Vater reden, sondern auch einen wohlwollenden Artikel über uns schreiben.« Sein Lächeln fing den ironischen Unterton charmant auf.
»Äh, Entschuldigung, Herr Professor. Sie haben gerade ›Dame‹ zu mir gesagt. Kürzlich am Telefon, als ich um einen Termin bat, auch schon.«
»Ja, und?«
»Ich verstehe nicht … Soll das ein Adelstitel oder so was sein? Dann ist das eine Verwechslung. Ich heiße bloß Katzenstein. Also Alexandra Katzenstein.«
Clooney lächelte milde und warf Dame Sowieso und dem Bebrillten einen überlegenen Blick zu. Dann sah er die Katzenstein an und sprach zu ihr wie mit einem begriffsstutzigen Kind. »Dame Katzenstein. Sie und Ihr Freund halten uns Mathematiker wahrscheinlich, wie die meisten Menschen, für weltfremde Eierköpfe, die keinen Sinn für Sprache haben.«
Stimmt, dachte Matze.
»Das ist natürlich ein Vorurteil. Ist Ihnen noch nie aufgefallen, dass Männer in Deutschland grundsätzlich als ›Herr‹ angesprochen werden, Frauen aber immer nur als ›Frau‹? Das finden wir diskriminierend. Das Pendant zu ›Herr‹ ist nicht ›Frau‹, sondern ›Dame‹. In den meisten anderen zivilisierten Ländern wird das auch so gehandhabt, sowohl im angloamerikanischen als auch im frankofonen und im romanischen Raum.«
Dame Sowieso nickte zustimmend, Brille grinste überheblich vor sich hin.
»Wir bei der MMW sind deshalb schon seit einiger Zeit dazu übergegangen, sowohl in der internen als auch in der externen Kommunikation Frauen grundsätzlich als ›Dame‹ anzureden. Und zwar sowohl mündlich als auch im Schriftverkehr.«
Widerliches Geschleime, dachte Matze.
»Die Idee dazu hatte übrigens unser lieber Herr Dr. Friedrich Grosse-Neujahr. Eine ganz hervorragende Idee, wenn Sie mich fragen.«
Brille lächelte geschmeichelt. »Nun ja, der Impuls stammte eigentlich von Dame Rechenberg, einer Bibliothekarin aus Bad Harzburg, die ihrer Zeit weit voraus war und sich leider nicht durchgesetzt hat.« Brille lächelte, entblößte seine makellosen Zähne. »Natürlich hoffen wir durch das Recycling dieser alten, schönen Idee, dass die Medien das Thema aufgreifen, damit wir wieder in die Schlagzeilen kommen – diesmal allerdings positiv – und auf unser eigentliches Anliegen hinweisen können.«
»Apropos eigentliches Anliegen«, wollte Matze wissen, während Alexandra die ganze Zeit gebannt und ohne ein Wort zu sagen, Clooney anstarrte. »Welche Ziele verfolgt Ihre Stiftung eigentlich?«
»Wie? Ach so, ja, natürlich.« Für einen kurzen Moment schien der Professor aus dem Konzept gebracht und Matze fürchtete schon eine unwirsche Reaktion. Doch der Mathematiker schien regelrecht dankbar zu sein, nicht über den Tod von Prof. Katzenstein reden zu müssen, sondern die Ziele seiner Stiftung erläutern zu dürfen. Offenbar nahm er Matze erst jetzt überhaupt wahr.
»Herr Grotte …«
»Entschuldigung, ich heiße Grothe mit ›th‹.«
»Entschuldigen Sie bitte vielmals: Herr Grothe. Bestimmt standen Sie während Ihrer Schulzeit, wie so viele, mit der Mathematik auf Kriegsfuß …«
Matze empfand einen leisen Triumph. »Sie werden lachen, Herr Professor, da muss ich Sie enttäuschen: Mathe war das einzige Fach, das mich interessiert hat.«
»Tatsächlich?« Clooney schien ehrlich überrascht.
Matze gönnte sich zur Belohnung ein Gummibärchen. »Na ja, ich war zumindest nicht so schlecht wie in den anderen Fächern. Wissen Sie, in der Schule, da …«
»… hatten Sie andere Prioritäten«, mischte sich Brille in das Gespräch und heuchelte eifrig nickend Verständnis.
Eingebildetes Arschloch, dachte Matze.
»Wie dem auch sei«, nahm Clooney den Faden wieder auf. »Wissen Sie, Stieg Larsson hat mit seiner matheverrückten Lisbeth Salander viel für das Image der Mathematik getan. Mathe ist inzwischen einer Forsa-Umfrage zufolge das Lieblingsfach von vierzig Prozent aller Deutschen im Alter von achtzehn bis fünfundsechzig Jahren.«
»Kein Wunder, wenn man fast nur Leute fragt, die die Schule schon verlassen haben«, fiel Alexandra Clooney schnippisch ins Wort.
Der Professor schenkte ihr ein überlegenes Lächeln. Offenbar hatte er Übung im Umgang mit Mathehassern. »Auch bei den Schülern liegt Mathematik auf
Weitere Kostenlose Bücher