Tod eines Mathematikers
Boden, um die Fransen der Perserteppiche zu kämmen. Nie wollte ich so werden wie sie. Richtig gehasst habe ich sie als Teenager …« Traurig fiel ihr Blick ins Glas. Scheiße, gleich fängt sie wieder an zu heulen, dachte Matze. Darauf hatte er absolut keinen Bock. Sie musste sofort aufhören, an ihre Mutter zu denken. Er musste sie irgendwie ablenken.
Matze stärkte sich mit einem Lachshäppchen und räusperte sich. »Sag mal, dein Vater …«
»Mmmmm?«
»Hast du ’ne Ahnung, warum der, … also ich meine …«
»Warum was?«
Matze schnappte sich ein Stück Aal. Sushi war doch gar nicht mal so schlecht.
»Also ich meine, warum der sich umgebracht hat?«
Alexandra sah ihren Kollegen an, sagte erst mal nichts. Dann holte sie tief Luft. »Mein Vater hat sich nicht umgebracht. Das ist völliger Blödsinn. Er wurde ermordet.«
Scheiße, Alexandra war besoffen. Na ja, sie hatte auch eine Menge Sake intus. In dieser kurzen Zeit. Und das als Frau. Hoffentlich kotzte sie nachher nicht ins Auto.
»Alexandra, ich glaube du solltest …«
»Matze, ich bin nicht so betrunken, wie du denkst. Ich habe schon zig Bullen unter den Tisch gesoffen. Ich kann einen Stiefel vertragen, Trinkfestigkeit ist sozusagen eine Grundvoraussetzung für meinen Beruf.« Sie hielt kurz inne.
»Mein Vater wurde ermordet«, wiederholte Alexandra dann mit fester Stimme.
»Aber die Bullen …«
»Vergiss die Bullen. Die sind noch dämlicher als unsereins.«
Matze nickte. Nach dem, was er Silvester erlebt hatte, konnte er Alexandra nur zustimmen.
»Und warum glaubst du, dass dein Vater umgebracht worden ist?«, fragte er vorsichtig nach.
»Auch die Haushälterin meines Vaters ist umgekommen. Und mein Vater hätte nie und nimmer einen anderen Menschen mit in den Tod gerissen.«
Aha, daher wehte der Wind, dachte Matze. Alexandra wollte nicht wahrhaben, dass ihr Vater jemanden getötet hatte.
»Vielleicht ein Versehen. Ich meine, dieses Kohlenmonoxid oder was das war …«
»Die Wirkung war meinem Vater wohlbekannt, das kannst du mir glauben. Er wusste, dass Frau Willich an diesem Tag kommen würde, sie kam schon seit Jahren immer an den gleichen Tagen. Und er hat natürlich auch gewusst, dass wenige Atemzüge von diesem Teufelszeug tödlich sind. Mensch, er war Mathematiiikkkerrr.« Alexandra strapazierte jeden einzelnen Buchstaben des Wortes.
»Ja, aber könnte es nicht auch sein, dass dein Vater – Mathematiker hin oder her – auch ein bisschen weltfremd war?«
»Man kann auf den Internetseiten jeder Dorffeuerwehr nachlesen, dass sich das Gift in den Räumen verteilt und selbst Rettungskräften gefährlich wird.«
Mmmmm. Matze überlegte. »Ehrlich gesagt, hat mich das, was dieser Clooney aus Harvestehude vorhin erzählt hat, schon stutzig gemacht, irgendwie.«
»Was meinst du?«
»Na ja, das scheint ’ne ziemlich große Nummer gewesen zu sein, an der dein Vater da gearbeitet hat. Und jemand, der so ’ne Aufgabe vor sich hat, bringt sich doch nicht um, schon gar nicht kurz vor dem Ziel.«
»Moment, ob er kurz vor dem Ziel war, wissen wir nicht. Clooney hat auch gesagt, als Wissenschaftler wüsste man nie, wann man sein Ziel erreicht.«
»Das hat diese Dr. Dr. Dingenskirchen gesagt …«
»Castro. Die hat’s dir wohl angetan, was?« Alexandra grinste.
»Wie kommst du denn darauf?«
»Na, wie du die angestarrt hast …«
»Quatsch! Überhaupt nicht mein Typ. Viel zu ordinär. Kann mir gar nicht vorstellen, dass die Mathematikerin ist. Auch noch mit zwei Doktortiteln. Wer weiß, wie sie zu denen gekommen ist.«
»Typisch Mann: Eine attraktive Frau kann nicht auch noch intelligent sein. Das verkraftet ihr nicht, was?«
»Quatsch! Von mir aus kann die den Nobelpreis bekommen, mir doch egal. Aber was war eigentlich mit dir los?«
»Wieso?«
»Dich hat dieser Clooney-Verschnitt ja wohl in Schockstarre versetzt. Sitzt die ganze Zeit da und sagst keinen Ton. Zum Schluss heulst du und fällst ihm um den Hals. Was war da eigentlich los?«
Wieder überraschte ihn Alexandra. Heute schon zum x-ten Mal. Sie war verlegen, lief rot an.
»Du denkst, ich steh auf den?«, fragte sie leise.
»Hm.«
»Völliger Blödsinn. Selbst wenn: Der Mann ist Mathematiker. Und Mathematiker sind ein absolutes Tabu für mich. Die gehen gar nicht. Da könnte einer aussehen wie, wie … ach, jetzt fällt mir gerade keiner ein. Mathematiker – nein danke.«
»Versteh ich irgendwie nicht. Kommt es nicht auf den Menschen an? Oder hat
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