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Tod eines Mathematikers

Tod eines Mathematikers

Titel: Tod eines Mathematikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Herrnkind / Walter K. Ludwig
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für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, sondern eigentlich für alles. Ich bin nämlich der Vorsitzende der Bremer Schachliga, seit bald zwanzig Jahren.«
    »Moment mal – Herr Willich? Irgendwie dämmert da bei mir gerade was«, meinte Harry, »waren Sie nicht mal Bremer Landesmeister?«
    Willich räusperte sich. »Insgesamt fünf Mal. Und einmal Deutscher Meister. Ich habe fünfunddreißig Jahre in der Bundesliga gespielt.«
    »Und haben Sie nicht auch ein Buch geschrieben? King’s Gambit und Fischer Defence – aktuelle Analysen von Ernst Willich.« King’s Gambit war eine aggressive, sehr riskante Eröffnung. Der weiße Spieler opferte einen Bauern, um den Weg frei zu machen für einen Angriff auf den schwarzen König.
    Willich nickte. Harry und Matze waren beeindruckt. Vor ihnen saß eine Legende. Ernst Willich war so etwas wie der Beckenbauer der Schachszene. Und er schien ein Paradebeispiel dafür zu sein, welche Auswirkungen ständiges Gehirntraining hatte. Auf Geist und Körper. Matze schätzte Willich auf Mitte, Ende sechzig. Doch er sah blendend aus. Dichtes, weißes Haar und eine Figur, wie Matze sie noch nie in seinem Leben gehabt hatte. Dazu eine coole, schwarze Brille, die hervorragend zu seinem markanten Gesicht passte. Unter seinem grauen Tweed-Sakko trug er einen schwarzen Rollkragenpullover, dazu eine schwarze Jeans.
    Matze nahm sich vor, unbedingt wieder mit dem Schachspielen anzufangen. Ob mir so eine Brille auch stehen würde?, überlegte er.
    »Dann ist Schach so etwas wie ein Lebensinhalt für Sie?«, fragte Matze, obwohl er sich die Antwort denken konnte.
    »Richtig. Jedenfalls weit mehr als ein Hobby. Schach ist für mich lebenswichtig. Auch und gerade in schwierigen Lebensphasen. Schach hat mir immer geholfen.«
    »Weil es ablenkt?«, vermutete Matze.
    »Nicht nur. Es hilft auch, wenn man nicht spielt. Es schärft den Verstand und ermöglicht einem, die Dinge klarer zu sehen. Auch abseits des Schachbretts, in allen Lebenslagen sozusagen. Das habe ich jetzt erst wieder gemerkt. Wissen Sie, ich habe kürzlich meine Frau verloren, ganz plötzlich und unerwartet …« Willichs Stimme stockte. Er senkte den Blick.
    »’tschuldigung.« Verlegen sprachen Harry und Matze ihr Beileid aus.
    Willich nickte. »Natürlich war ich geschockt und todtraurig, und ich bin es immer noch, gar keine Frage. Aber dann habe ich erkannt, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder ich blase jetzt Trübsal bis an mein Lebensende. Oder aber ich bin dankbar dafür, dass ich fast vierzig Jahre mit meiner Helga zusammen sein durfte.«
    Harry und Matze nickten und waren beeindruckt angesichts der weisen Worte.
    »Hatte Ihre Frau einen Unfall? Sie sagten, sie sei plötzlich und unerwartet gestorben«, erkundigte sich Matze.
    Willich nickte. »Ein Unfall, ja. Gewissermaßen, jedenfalls. Helga kümmerte sich um den Haushalt eines Professors. Er hat sich mit Kohlenmonoxid vergiftet. Meine Frau betrat die Wohnung und … Na ja, das Zeug ist dermaßen giftig, dass schon wenige Atemzüge genügen …«
    Wieder senkte Willich den Blick.
    Matze und Harry sahen einander fassungslos an. Die Story kannten sie doch!
    Der Polizist fand als Erster wieder Worte. »Der Professor, war das dieser …«
    Willich nickte erneut. »Katzenstein, ja. Ein bekannter Mathematiker.«
    Harry und Matze warfen sich einen Blick zu. Sie durften jetzt keinen Fehler machen. Harry tastete sich behutsam an das Thema heran: »Schlimme Sache. In den Zeitungen stand, das Motiv sei völlig unklar …« In Wirklichkeit hatten die Zeitungen nur kurz vermeldet, dass Katzenstein verstorben war. Doch Willich bemerkte den Bluff nicht, machte eine wegwerfende Handbewegung. »Was in den Zeitungen steht und was wahr ist, sind oft zwei völlig verschiedene Paar Schuhe.«
    »Aber merkwürdig ist das schon«, hakte Matze nach, »ich meine, der Mann war ein erfolgreicher Wissenschaftler. Er hatte keine finanziellen Probleme. Wieso sollte der …«
    Willich schüttelte den Kopf. »Erfolgreich war er nur nach außen. In ihm sah es ganz anders aus. Glauben Sie mir, Professor Katzenstein war ein zutiefst unglücklicher Mensch, seit Jahren schon. Seine Frau hat sich vor zwanzig Jahren das Leben genommen. Er gab sich die Schuld daran. Seine Tochter hat sich von ihm abgewandt. So was kann den stärksten Kerl umhauen. Erstaunlich eigentlich, dass er so lange durchgehalten hat. Zuletzt kam auch noch beruflicher Ärger dazu. Er hat irgendeinen Preis, ich glaube, es war

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